Die Pestmagd by Riebe Brigitte

Die Pestmagd by Riebe Brigitte

Autor:Riebe, Brigitte [Riebe, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2012-09-30T23:00:00+00:00


SECHS

Du?«, flüsterte Johanna. Im flackernden Fackellicht kniff sie die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Welche Teufel haben dich geschickt?«

»Du lebst!« Vincent zog sie hoch. »Wie erleichtert ich bin!«

Obwohl sie sich zu wehren versuchte, streifte er ihr ein geflicktes Kleid über, in dem sie fast versank.

»Geh weg!« Sie schlug nach ihm. »Fass mich nicht an! Willst du mir das Herz noch einmal aufreißen? Ich bin doch schon halb tot!« Es klang wie ein Krächzen.

Was hätte er nicht alles entgegnen können! Dass damals mit ihr an einem einzigen Tag Licht und Freude aus seinem Leben verschwunden waren? Dass er seitdem auf der Flucht war, niemals zur Ruhe gekommen, wohin er auch immer geritten war? So vielen Frauen er unterwegs begegnet war, die Sehnsucht nach der einen, die ihn schmählich verraten hatte, war unstillbar.

»Du musst mit mir vorliebnehmen«, sagte er. »Eine andere Wahl hast du nicht.« Jetzt, da ihre Nacktheit bedeckt war, fiel es ihm leichter, sie anzusehen. »Man müsste dich waschen, salben und von diesen entsetzlichen Fesseln befreien, doch dazu ist jetzt keine Zeit.«

Johannas Beine zitterten so stark, dass sie einzuknicken drohte.

»Ist es so weit?«, fragte sie leise. »Du kommst mich holen?«

Er sah, wie sie dabei ihre schrundigen Lippen benetzte, während in ihm ein Damm zu brechen drohte.

So oft hatte er sie verflucht in all den langen Jahren. Wie konnte sie etwas so Kostbares wie ihre gemeinsame Liebe leichtfertig vertun? Johanna hatte mit ihm gespielt, ihn hintergangen und verraten, obwohl er doch sein ganzes Herz vor ihr ausgebreitet hatte.

Warum aber war dann sein Mitgefühl für sie jetzt so überwältigend, dass es ihm die Kehle zuschnürte?

»Einer Menschenseele so etwas zuzufügen!« Seine Stimme war rau. »Selbst wenn du schuldig wärst – das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.« Vincent griff unter ihre Achseln, um sie zu stützen. »Siehst du das Helle dort vorn?«

Johanna taumelte. Er verstärkte seinen Griff, und es gelang ihm schließlich, sie aus dem Loch zu zerren.

Sie schleppte sich voran. Viel zu bald war ihre Kraft zu Ende.

»Ich kann nicht mehr.« Erneut sank sie in sich zusammen. »Nicht einen einzigen Schritt!«

Erneut richtete Vincent sie auf.

»Gleich hast du es geschafft«, sagte er. »In der Zelle warten Wasser und Brot. Du musst dich zwingen. Sonst wirst du nicht durchstehen, was auf dich zukommt.«

»Der Galgen?«, flüsterte sie. »Ich will nicht sterben!«

Johanna fiel gegen ihn, als hätten seine Worte sie noch mehr geschwächt.

Was hatten sie nur mit ihren Haaren angestellt? Der blonde Zopf, den er sich in jenen verzauberten Basler Wochen immer wieder um die Finger geschlungen hatte, als sei er ein kostbares Band aus Gold, war verschwunden. Stattdessen ließen schmutzstarrende Zotteln ihren Kopf schmal und verletzlich erscheinen.

Sein Zorn auf ihre Peiniger wuchs.

»Du wirst nicht sterben«, sagte er grimmig, nahm sie auf seine Arme und trug sie das letzte Stück.

Johanna war leichter als in seiner Erinnerung, sie war so mager, dass er durch den schäbigen Stoff ihre Rippen hätte zählen können. Zuerst machte sie sich stocksteif, als könnte sie die Nähe kaum ertragen, dann jedoch schien seine Körperwärme sie zu entspannen. Für einen Augenblick fiel



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