Die letzte Visite by Gruhl Hans

Die letzte Visite by Gruhl Hans

Autor:Gruhl, Hans [Gruhl, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Kommissar Nogees hatte sich für den nächsten Tag, elf Uhr, angesagt. Um zehn saß ich schwitzend hinter meinem Bildschirm.

Neben mir stand Fräulein Dr. von Stagg und sah sich die Lunge eines ihrer Patienten an. Das Gewicht der Bleischürze zog sie fast in den Fußboden hinein.

»Sehen Sie?« sagte ich leise. »Erguß geht zurück. Nur noch ‘ne Winkelverschattung. Tolle Erfolge auf Station drei.«

»Na, herrlich«, japste die Stagg. »Und sonst?«

»Sonst keine Änderung. Das Infiltrat ist wie beim letztenmal. Aber das werden Sie auch noch in die Flucht schlagen, wie ich Sie kenne.«

»Er hat schon einen Haufen PAS«, sagte Fräulein von Stagg. »Herr Matthies, wieviel Infusionen haben Sie?«

»Vierundzwanzig, Fräulein Doktor«, antwortete der Patient. Man hörte, wie er mit den Hacken klappte.

Ich zog die Blende zu und schaltete ab. Das Deckenlicht flammte auf, und wir blinzelten heftig.

»Ende«, sagte ich ins Mikrophon.

Petra kam herein und nahm den zackigen Herrn Matthies mit sich.

Ich sah auf meine Uhr.

»Nun wird der Gevatter Sherlock Nogees bald erscheinen. Bin gespannt, wen er diesmal auseinandernimmt.«

Sie schlug die Hände vor die Bäckchen. Ihr Haarknoten zitterte.

»Hoffentlich nicht mich! Das wäre grauenhaft!«

»War er denn beim letztenmal nicht nett zu Ihnen?«

»Doch, sehr, aber wenn ich Polizei sehe, kriege ich immer Schüttelfrost. Was will er denn diesmal?«

»Eine kleine Vorstellung inszenieren. Die letzte Punktion von Bergius.«

»Die letzte Punktion? Wozu soll das gut sein?«

»Ich habe keinerlei Ahnung, verehrtes Fräulein Doktor. Kommen Sie, verlassen wir das Verlies. Wenn Petra gute Laune hat, verhilft sie uns zu einem kalten Wodka.«

»Ein Gelage am Vormittag? Ich bin entsetzt!«

»Das legt sich. Außerdem überstehen wir dann den Kriminalfilm besser.«

Wir gingen durch den Schaltraum hinaus ins Demonstrationszimmer und hängten die Bleischürzen an ihre Haken. Die Fenster standen auf und ließen viel Sauerstoff herein. Petra stand am Regal und ordnete Filme in die Fächer.

»Petra«, sagte ich, »das Fräulein Doktor und ich, wir haben gedacht, daß wir nach getaner Arbeit etwas Wodka verdient hätten! Wie lautet Ihre Antwort?«

»Wie soll sie schon lauten«, antwortete Petra. Gleich darauf klappte der Eisschrank.

Wir kippten den Wodka hinunter. Fräulein Doktor schüttelte sich als einzige.

»Oh, heilige Edeltraud«, sagte ich, »eine Ärztin und kann keinen Wodka trinken.«

»Noch einen, Fräulein Doktor?« flötete Petra.

»Um Himmels willen! Soll ich beschwipst auf Station kommen? Und wie soll ich nachher dem Kommissar unter die Augen treten?«

»Oh, den hätte ich beinahe vergessen. Haben wir noch was, Petra?«

»Wenn Sie Lust haben, können Sie mir die Schicht noch diktieren.«

»Lust habe ich nie. Die Bezahlung ist auch gar nicht danach. Fräulein Doktor, wir danken für Ihren lieben Besuch. Kommen Sie bald wieder.«

Edeltrauds Bäckchen glänzten jetzt, als hätte sie etwas Fieber.

»Wiedersehen!« winkte sie von der Tür her.

»Wäre das nicht eine Frau für Sie?« fragte Petra. Ich sah sie an, als hätte sie mich auf die beste Idee meines Lebens gebracht.

»Das wäre zu überlegen, in der Tat. Halbadlige Kinder, Gemeinschaftspraxis mit Doppel verdienst, vornehme Verwandtschaft mit ein paar Grafen drin sowie etlichen Ländereien, Abneigung gegen Trunksucht. Reife, gefestigte Daseinsauffassung, Prinzipien, schöngeistige Interessen, gepflegte Häuslichkeit — das ist es, was mir vorschwebt.«

»Das ist es, was Ihnen vorschwebt«, wiederholte Petra kopfnickend. Ich ergriff ihre Hand.

»Ich bin Ihnen ewig dankbar für den Hinweis, Petra.



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