Die Lady Macbeth des Mzensker Landkreises by Nikolai Ljesskow

Die Lady Macbeth des Mzensker Landkreises by Nikolai Ljesskow

Autor:Nikolai Ljesskow [Ljesskow, Nikolai]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: $SUBJECT
ISBN: 9783862671526
Barnesnoble:
Goodreads: 16267109
Herausgeber: Europ ischer Literaturverlag
veröffentlicht: 2011-05-24T22:00:00+00:00


Neuntes Kapitel

Der Platz, auf dem das Armenlager entstanden war, befand sich hinter der Stadt auf einer weiten Wiese zwischen dem Fluß und der Poststraße und grenzte an die große windungreiche Schlucht, die von einem Bächlein durchflossen und von dichtem Gestrüpp bewachsen war; hinten begann ein mächtiger Fichtenwald, über dem Adler schrien.

Auf der Wiese lagerte eine Menge elender Fuhrwerke und Karren, die in ihrer ganzen Armut die bunte Vielgestaltigkeit des nationalen Genies und der Erfindungsgabe darstellten. Es gab hier Wagen mit Dächern aus Bastmatten, solche mit Leinenzelten, mit »Lauben« aus wolligem Pfriemgras und ganz ungestalteten Bogen aus Baumrinde. Eine ganze breite Rinde von einer hundertjährigen Linde war gebogen und an das Wagengestell genagelt, und unter ihr lagen die Leute: sie lagen Sohle an Sohle im Innern des Fahrzeugs, die Köpfe vorne und hinten in der freien Luft. Über die Liegenden zog das Windchen und ventilierte, damit sie nicht in ihrer eigenen Luft erstickten. Neben den an der Deichselstange angebundenen Heusäcken standen die größtenteils mageren Pferde, alle im Kummet, und bei einzelnen vorsorglichen Leuten unter Mattendächern. Bei einigen Fuhrwerken waren auch Hunde, obwohl es eigentlich nicht angebracht war, solche auf die Wallfahrt mitzunehmen; aber es waren eben »eifrige« Hunde, die ihre Herren auf der zweiten oder dritten Futterstation eingeholt hatten und durch keine Prügel zu bewegen waren, umzukehren. Sie hatten hier bei der Wallfahrt eigentlich keinen Platz, aber sie wurden geduldet und benahmen sich, da sie ihre Lage als Konterbande wohl fühlten, sehr friedlich; sie drückten sich bei den Wagenrädern, unter den Eimern mit Wagenschmiere und bewahrten ernstes Schweigen; diese Bescheidenheit rettete sie vor dem Scherbengericht und dem für sie gefährlichen getauften Zigeuner, der ihnen im Nu »den Pelz auszog«. Hier in diesem Armenlager unter dem freien Himmel lebte es sich lustig und gut wie auf einem Jahrmarkt. Hier gab es mehr Abwechslung als in den Hotelzimmern, die nur besonders Auserwählte bekommen hatten, oder auch in den Schuppen der Gasthöfe, wo im ewigen Halbdunkel die Leute zweiten Ranges Unterkunft gefunden hatten. Allerdings wurde das Armenlager weder von Mönchen noch von Hypodiakonen besucht, auch ließen sich hier keine echten, erfahrenen Pilger sehen; dafür gab es hier Meister in allen Handfertigkeiten und eine ausgedehnte Hausindustrie von allerhand Heiligtümern. Als ich in den Chroniken den bekannten Kiewer Prozeß über die Fälschung heiliger Gebeine aus Hammelknochen las, staunte ich über die Kindlichkeit der Manier dieser Fabrikanten im Vergleich zu der Kühnheit jener Meister, von denen ich früher gehört hatte, die damit ein offenes, verwegenes Handwerk betrieben. Schon der Weg zur Wiese durch die Vorstadtstraße zeichnete sich durch unbeschränkte Freiheit und durch weitestgehende Unternehmungslust aus. Die Menschen wußten, daß solche Gelegenheiten nicht häufig sind, und verloren keine Zeit. Vor vielen Türen standen Tischchen, auf denen kleine Ikonen lagen, Kreuzchen, Papiertüten mit faulem Holzstaube, angeblich von dem alten Sarge und daneben solche mit Spänen von dem neuen. Dieses ganze Material war nach den Beteuerungen der Verkäufer von einer viel besseren Sorte, als an den heiligen Orten selbst, weil es durch die Tischler, Erdarbeiter und Zimmerleute, die die wichtigsten Arbeiten ausgeführt hatten, hergebracht worden war.



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