Die Kunst zu sterben by Anna Grue

Die Kunst zu sterben by Anna Grue

Autor:Anna Grue [Grue, Anna]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783037920428
Herausgeber: Oetinger E-Books
veröffentlicht: 2014-07-22T16:00:00+00:00


Mörderjagd

22.–27. August

20

Acht Mitwirkende. Acht Individuen. Acht Köpfe, die alle intensiv damit beschäftigt waren, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Jeder musste für sich entscheiden, was man von den anderen hielt, wie man die Zimmer fand und damit umging, den größten Teil des Tages überwacht zu werden.

In Wahrheit hätten sich vermutlich alle am liebsten auf ihre Zimmer zurückgezogen, unbeobachtet von den Kameras, um den Gedanken Gelegenheit zu geben, sich in Ruhe zu sortieren. Doch die Konvention und die allgemeine Höflichkeit geboten es, noch ein wenig sitzen zu bleiben. Es war ja nicht später als halb elf, und sie waren erst seit knapp einer Stunde allein im Kandidatenflügel. Die acht unterhielten sich angeregt und lachten häufiger und lauter, je mehr Zeit vergangen und der Alkoholpegel gestiegen war. Sie brauchten den Alkohol, um zu einer Art Gemeinschaft zu finden, die sie hoffentlich durch die kommenden Wochen brachte.

Sie geben sich tatsächlich alle Mühe, dachte Dan. Sogar Tim Kiilberg war gegen Ende des Abends etwas lockerer geworden. Er diskutierte mit Kristian Ludvigsen über den Afghanistankrieg. Beide waren zu dem ausgezeichneten Maltwhisky übergegangen, der sich in der Küche fand. Gitte Sandlauw, Gunnar Forsell und Jackie S tranken irgendetwas Rosafarbenes aus Cocktailgläsern, während Kamille Schwerin, Kirstine Nyland und Dan beim Rotwein blieben. Der Barschrank war mehr als gut bestückt. Wenn es etwas gab, worauf sie nicht verzichten mussten, dann war es Alkohol.

Die drei ferngesteuerten Kameras, die den gewaltig großen Aufenthaltsraum abdeckten, summten diskret, wenn sie zoomten oder von einer Seite zur anderen schwenkten. Die übrige Zeit starrten sie stumm und beharrlich vor sich hin.

Man hatte ihnen erklärt, sie würden sich sehr schnell an die Kameras und die kabellosen Mikrofone gewöhnen, die ständige Beobachtung würde ihnen sehr bald schon nicht mehr auffallen. Dan bezweifelte das. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er vergessen sollte, dass knapp fünfzig Meter entfernt eine Gruppe von Menschen saß, die alles sehen und hören konnte, was er tat – und dass jedes einzelne Kratzen am Ohr, jede einzelne dumme Bemerkung, jeder einzelne Rülpser, jeder einzelne flirtende Augenaufschlag sorgfältig beobachtet, abgearbeitet, möglicherweise szenisch aufbereitet und in ganz Dänemark ausgestrahlt werden konnte. Marianne, seine Kinder, Nachbarn, seine Mutter, Flemmings Werbekunden, sie alle würden es sehen … Wie viel wollte man eigentlich mit dem Rest der Welt teilen, wenn es wirklich darauf ankam? Er musste sich darauf verlassen, dass Mahmoud das berücksichtigte. Sicherlich lag es auch im Interesse des Senders, den Detektiv der Show einigermaßen würdevoll zu präsentieren.

Dan war Kameras gewohnt, sodass er nicht den klassischen Fehler beging und direkt in die Linse starrte. Er hatte inzwischen gelernt, seine Hände ruhig zu halten, obwohl es ihm bisweilen schwerfiel. Jedes Mal, wenn er seinen Gedanken freien Lauf ließ, fanden die Finger ganz von allein zu seiner linken Wange, strichen über die Zickzackform unter seinem Auge und glitten weiter über den schmalen Streifen blanker, glatter Haut. Nicht, weil die Narbe sich zusammenzog oder schmerzte – dieses Stadium war längst überstanden –, es war eine schlechte Angewohnheit, beinahe ein Tick. Doch Dan beherrschte den Impuls, sich an die Wange zu fassen, immer dann ganz gut, wenn eine eingeschaltete Kamera in der Nähe war.



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