Die Atemlehrerin: Wie Carola Spitz aus Berlin floh und die Achtsamkeit nach New York mitnahm by Christoph Ribbat

Autor:Christoph Ribbat [Ribbat, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Biography & Autobiography, Religious, Achtsamkeit, Gindler-Arbeit, Im Restaurant, Mad Men, Nationalsozialismus, Psychoanalyse, Weimarer Republik, Yoga
ISBN: 9783518764749
Google: Tf-3DwAAQBAJ
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2020-02-16T22:00:00+00:00

Vielleicht bleibt Otto erfolgreich, weil er eine Nische bedient: die Spezialmarke, die »russischen« Zigaretten. Vielleicht kann er sich auch in seinem Alter, er ist Ende vierzig, einen Neuanfang im Ausland nicht vorstellen. Carolas Laufbahn ist seit 1933 so eingeengt, dass auch sie es sich möglicherweise nicht zutraut, anderswo neu anzufangen. Hinzu kommt: Sie wohnen in Berlin. Jüdische Deutsche verlassen jetzt Kleinstädte und kommen in die Hauptstadt, weil sie sich in ihrer Anonymität ein geschützteres Leben erhoffen. Otto und Carola sind schon dort, wo diese Migranten erst noch hinwollen.99

Im September 1937 besuchen sie Thea in der Schweiz, als Carolas Mutter sich aus Berlin meldet und sagt, dass jemand in ihrer Wohnung gewesen sei. Mehrere Männer. Vielleicht von der Gestapo. Die Mutter sagt, die Männer hätten sie dazu gezwungen, in die Bank mitzukommen und den Safe zu öffnen. Lass uns nicht zurückgehen nach Deutschland, sagt Carola. Wir gehen zurück, sagt Otto. Sie reisen zurück nach Berlin. Ein paar Tage sind sie wieder da, als es eines Nachmittags an der Tür klingelt. Zwei Gestapo-Männer, so wird sie sich später erinnern, und ein Polizist kommen in die Wohnung. Sie stehen im Wohnzimmer und betrachten das Bücherregal. Pestalozzi, liest der eine Gestapo-Mann vor. Er sagt: Das klingt sehr fremd. Carola findet das lustig, aber sie lacht nicht. Der Polizist zeigt auf die vielen roten Bände der Goethe-Gesamtausgabe. Hier steht auch Goethe, sagt er. Das ist sehr deutsch. Die Gestapo-Männer reagieren auf den Einwand nicht. Sie nehmen Otto mit. Der Polizist bleibt beim Herausgehen ein paar Schritte hinter ihnen zurück. Auf der Türschwelle dreht er sich zu Carola um und sagt leise: Wenn er nicht um fünf zu Hause ist, wird er gar nicht kommen. Sie wartet.

Der Surén-Schurz ist eine sehr, sehr kleine Badehose. Sie verbirgt nur äußerst knapp das Geschlechtsteil ihres Erfinders. Der restliche Körper des Hans Surén ist großzügig eingeölt. Auch dieser Atemexperte kommt, wie sein Kollege Glucker, mit den neuen politischen Entwicklungen sehr gut zurecht.

Surén im Surén-Schurz zeigt sich der Kamera in immer neuen Positionen. Seine Hände pressen auf den glänzenden Oberkörper, die Daumen liegen auf den Brustwarzen. So demonstriert er »Brustatmung: Ausatmen mit Druck auf die Rippen«. Er steht auf den Zehenspitzen, reckt die Arme in die Höhe: Das ist die »Große Atmung in straffer Ausführung«. Er führt die »Schulung mit eiserner Kugel« vor. Kugel werfen: ausatmen. Kugel fangen: einatmen. Auch Frauen zeigen Surén-Übungen und werden fotografiert. Ohne Öl, ohne Schurz. Prinzipiell gilt, das beobachtet Surén, dass Männer die Bauchatmung nutzen, bei größeren Anstrengungen Flanken- und Brustatmung, Frauen jedoch durchgehend die Brustatmung. Er weist darauf hin, dass bei Gorillas »die gleichen Atmungsunterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen«.

Die Fotografien der nackt bis quasinackt Atmenden illustrieren Hans Suréns Atemgymnastik. Das Buch ist ein Bestseller der neuen Zeit. Auch Suréns andere Werke sind extrem populär: Der Mensch und die Sonne, sein Werk zur Freikörperkultur, oder sein Ratgeberband Selbstmassage/Pflege der Haut. Suréns Schriften fügen sich in eine Ideologie ein, die sich ständig um das Leibliche dreht: den »Volkskörper«, die »reine Rasse« und den »arischen« Körper, mit dem der nicht perfekte und somit feindliche Körper kontrastiert wird.

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