Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) by Volker Kutscher

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) by Volker Kutscher

Autor:Volker Kutscher [Kutscher, Volker]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
ISBN: 9783462306255
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag
veröffentlicht: 2012-08-15T22:00:00+00:00


46

Rath reagierte allergisch, als der Hausdiener des Gutes Luisenhöhe ihn am Sonntagmorgen wieder abwimmeln wollte.

»Hören Sie, guter Mann, wenn Sie nicht verantworten wollen, dass die preußische Polizei eine Hausdurchsuchung in der netten Residenz Ihres verehrten Herrn Wengler durchführt, dann tun Sie gut daran, mir zu sagen, wo ich den Herrn Direktor finden kann! Und zwar heute noch!«

So hatte mit dem Arroganzbolzen in Livree offensichtlich noch niemand gesprochen. Der Mann schnappte nach Luft.

»Einen kleinen Moment, der Herr, ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«

Der Livrierte verschwand drinnen hinter irgendeiner Tür. Rath war sich sicher, dass er nirgends nachfragen oder gar telefonieren musste, um zu erfahren, wo Gustav Wengler sich aufhielt. Wahrscheinlich zählte er hinter der Tür, in der er verschwunden war, lediglich leise bis sechzig.

Tatsächlich dauerte es ungefähr eine Minute, und der Mann kehrte zurück.

»Wie man mir sagt, befindet sich Direktor Wengler auf dem Festgelände in der Stadt«, meinte der Diener und klang nasaler als hundert Franzosen. »Er ist jedoch sehr beschäftigt und …«

»Ich dachte, das Abstimmungsfest wird erst morgen gefeiert?«

»Vorbereitungen.« Der Mann sprach jetzt ausschließlich durch die Nase. »Direktor Wengler ist immerhin …«

»Ich weiß: Vorsitzender des Heimatdienstes.« Rath genoss es, den blasierten Kerl zu unterbrechen. »Wo ist denn dieses Festgelände?«

Der Diener warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass man schon ein ganz besonders unwürdiges Insekt sein müsse, um nicht zu wissen, wo in Treuburg sich das Festgelände befinde.

»Der Hindenburgpark am Kreiskriegerdenkmal.«

»Und wo ist das?«

»An der Straße nach Goldap, direkt am See.«

Rath startete den Wagen und fuhr zurück in die Stadt. Die Leute hier gingen ihm mehr und mehr auf den Wecker, er sehnte sich zurück nach Berlin, noch mehr, seit er gestern Abend endlich mit Charly hatte telefonieren können. Dabei waren sie eher sachlich geblieben, hatten im Grunde nur über die Arbeit geredet. Sie kam voran, ihr Aschenbrödeldasein in der Zentralküche von Haus Vaterland zeitigte erste Erfolge. Da liefen tatsächlich irgendwelche Erpressungsgeschichten um die Herren Riedel und Unger, und die beiden Erpresser hatten Schwierigkeiten, augenscheinlich mit der Unterwelt. Vielleicht waren sie an irgendwen geraten, der Schutzgeld bezahlte und dafür jetzt eine Gegenleistung bekam. Das mochten Schutzgeldeintreiber gar nicht gern, wenn ihnen jemand in die Quere kam. Dass die Erpressungsgeschichte mit Lamkaus Tod zusammenhing, daran glaubte Rath immer weniger. Dennoch freute es ihn, dass Charly da einer Sache auf der Spur war, mit der sie Punkte sammeln würde bei Gennat und hoffentlich auch bei Friederike Wieking, ihrer eigentlichen Chefin.

Er selbst hatte wenigstens einen Teil von Böhms Aufgabenkatalog erledigt und gestern Nachmittag die Personalliste in der Brennerei abgeholt. Die war pünktlich fertig geworden, wie versprochen, und so sauber getippt und ohne jeden Orthographiefehler, dass Rath die Sekretärin am liebsten mit nach Berlin genommen hätte.

Der Hindenburgpark war nicht schwer zu finden, so viele Autos parkten schon in der Zufahrt und säumten die Straße nach Goldap. Rath hatte den Wanderer dazugestellt und schlenderte über das Gelände, das eine Mischung aus Sport- und Grünanlagen war. An sämtlichen Fahnenstangen, die hier zur Verfügung standen, wehten Flaggen, schwarz-weiße und schwarz-weiß-rote, nirgends jedoch das Schwarz-Rot-Gold der Republik.



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