Deutsche Geschichte by Manfred Mai
Autor:Manfred Mai
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Sachbuch
ISBN: 9783407741448
Herausgeber: Beltz GmbH, Julius
veröffentlicht: 2005-12-31T23:00:00+00:00
Ein »Säbelrassler« auf dem Thron
Kaiser Wilhelm I. starb 1888. Weil sein Sohn Friedrich III. nur drei Monate nach der Thronbesteigung an Kehlkopfkrebs starb, wurde sein Enkel Wilhelm II. im »Dreikaiserjahr« schon mit 29 Jahren Kaiser. Er musste also nicht viele Jahre geduldig auf den Thron warten, Jahre, in denen er reifer, ruhiger, gelassener, vielleicht sogar weiser hätte werden können. Nein, der junge Wilhelm stand plötzlich an der Spitze des Reiches. In diesem Reich war er aufgewachsen, hatte als kleiner Junge die Reichsgründung, dann den wirtschaftlichen Aufschwung und den Weg zur europäischen Großmacht miterlebt. Immer größer, immer schneller, immer besser, immer mehr, lautete die Devise. Immer nur Erfolge und Siege, keine Niederlagen. So würde es immer weitergehen, so musste es immer weitergehen, das war für Wilhelm völlig klar. Jetzt war es sein Reich und er wollte darin bestimmen. Nicht der Kanzler und nicht der Reichstag, den er ohnehin für ein lästiges Übel hielt. »Ich führe euch herrlichen Zeiten entgegen!«, verkündete er.
Und nicht nur die Politik, auch Wissenschaft und Kunst sollten nach der Pfeife des jungen Kaisers tanzen. »Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr. Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch auf das Volk einzuwirken, sie soll den unteren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an dem Idealen wieder aufzurichten. Wenn nun die Kunst, wie es jetzt vielfach geschieht, weiter nichts tut, als das Elend noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist, dann versündigt sie sich damit am deutschen Volk.«
Sozialkritische »Naturalisten«, Schriftsteller, die die Welt so zeigen wollten, wie sie wirklich war, wurden verdächtigt, mit den Sozialdemokraten gemeinsame Sache zu machen und damit wie diese »Vaterlandsfeinde« zu sein. Als Ger- hart Hauptmanns Drama Die Weber 1892 erschien, durfte es an den Theatern nicht aufgeführt werden.
Auch Künstler wie Wassily Kandinsky, Franz Marc und Paul Klee, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue Ausdrucksformen suchten, waren unerwünscht. Die Kunst hatte deutsche Größe und Größen aus Vergangenheit und Gegenwart darzustellen, am liebsten in kolossalen Denkmälern und riesigen Gemälden.
Der »Drang nach Größe« war auch das Schlagwort für Wilhelms Außenpolitik. Der alte Reichskanzler mit seiner fein gesponnenen Bündnispolitik, die ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa geschaffen hatte, war nicht der richtige Partner für den neuen Kaiser, der »mit Volldampf voraus« wollte, wie er zu sagen pflegte. Also musste Bismarck gehen. Der Kaiser wollte selbst Außenpolitik machen. Darunter verstand er aber nicht geduldiges Aktenstudium, Gespräche und Verhandlungen mit Parteien, Interessengruppen, Botschaftern und Politikern anderer Länder; Politik machen hieß für Wilhelm II. Anweisungen geben und Reden halten. Doch »seine Reden, Interviews und Telegramme waren Katastrophen der Diplomatie«, heißt es dazu bei dem Historiker Golo Mann. Was Wilhelm von deutscher Größe, von Weltmacht, trockenem Pulver und scharfen Schwertern daherschnarrte, machte das »wilhelminische« Deutschland gefürchtet und unbeliebt.
Noch zu Bismarcks Zeiten hatte der Afrikaforscher Karl Peters gesagt: »Die deutsche Nation ist bei der Verteilung der Erde leer ausgegangen. Es gilt, das Versäumte von Jahrhunderten gutzumachen.« Aber Bismarck zögerte, er war kein »Weltpolitiker«. Anders Kaiser Wilhelm II., dessen Leitspruch lautete: »Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen.
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