Der Tote vom Hauptmarkt by Ansgar Sittmann

Der Tote vom Hauptmarkt by Ansgar Sittmann

Autor:Ansgar Sittmann [Sittmann, Ansgar]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: KBV-Verlag
veröffentlicht: 2015-09-04T22:00:00+00:00


9. Kapitel

Wieder eine beschissene Nacht! Hin und her gewälzt, unzählige Träume, die den leichten Schlaf auch nicht versüßten. Wenn das so weiterging, würde ich Geschwüre Geschwüre sein lassen und meine Medikamente fortan wenigstens mit einem Schlummertrunk am Abend zu mir nehmen, irgendeinem schweren Bordeaux aus dem Médoc.

Kaum aufgestanden legte ich mich auf die Wohnzimmercouch und schaltete die Flimmerkiste an, zappte mich durch die wunderbare Welt des digitalen Fernsehens. Wickie und die starken Männer begegneten gerade auf offener See dem schrecklichen Sven, auf einem Sportsender rekelten sich nackte Frauen und warben mit ihren Silikonbrüsten für teure Telefonseelsorge, ein Hobbyprediger auf Speed versuchte redlich, seinen überwiegend betagten Jüngern etwas Leben einzuhauchen. Die Fernbedienung lief heiß und konnte sich glücklich schätzen, dass ich bei einer Musiksendung hängen blieb. Der gertenschlanke Ilja Richter in weißem Anzug kündigte gerade Precious Wilson an. Es hatte etwas Rührendes, all diese Hosen mit Schlag und die fürchterlichen Frisuren zu sehen, und ich versuchte mich zu erinnern, welche Modesünden ich damals begangen hatte. Disco, natürlich, Disco hieß die Musiksendung. Und für Ilja Richters komödiantische Ausflüge, gespielte und gesungene Sketche für Sextaner und leiderfahrene Angehörige der Rheumafraktion. Precious Wilson weckte meine Lebensgeister. In ihrem bis zu den Hüften geschlitzten, schneeweißen Kleid, das wenigstens ein makelloses Bein offenbarte, sah sie aus wie ein schwarzer Engel. Pure Lebensfreude vermittelte diese Vorläuferin aller Beyoncés und Rihannas.

Auf seltsame Weise beglückte mich die alte Show. Im Fernsehen sah man den zwischenzeitlich angegrauten Ilja Richter zwar kaum mehr, doch in Berlin turnte er noch regelmäßig auf den Bühnen des Boulevard-Theaters herum, immer noch die gleiche Stimme, die mitten im Stimmbruch stecken geblieben schien. Ferry, älter als ich, füllte immer noch die größten Konzertsäle. Es gab also keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Ich schaltete das Morgenmagazin ein und ging in die Küche, um mir einen Tee zuzubereiten. Mit Earl Grey am Morgen hatte ich mich arrangiert. Dann holte ich den Trierischen Volksfreund aus der Zeitungsbox neben der Haustür. Ich hatte ihn abonniert, weniger wegen der Großwetterlage in Deutschland und in der Welt, sondern vor allen Dingen wegen des Lokalteils. Es war wichtig, Menschen und Region genauer kennenzulernen, wenn ich hier ordentlich Fuß fassen wollte. Der Sportteil war ordentlich, und allmählich konnte ich mich sogar für das Schicksal der Trierer Eintracht interessieren, immerhin ein Fußballverein, der über Jahre recht erfolgreich in der Zweiten Liga mitgemischt hatte und im DFB-Pokal einige Male die Großen ärgern konnte. Mit einer Kippe im Mundwinkel bereitete ich mir drei French Toast zu.

Kauend und mit Earl Grey nachspülend überflog ich die wichtigsten Schlagzeilen. Gauck, immerhin Pfarrer, sorgte mit einem sonderbar missionarischen Eifer, mit dem er den Griff zur Waffe bei eklatanter Menschenrechtsverletzung nicht nur rechtfertigte, sondern geradezu forderte, für reichlich Gesprächsstoff und Futter für Kommentatoren und Intellektuelle. Ein bizarrer Paradigmenwechsel wurde damit eingeleitet, und ich sah uns schon mit wehenden Fahnen ähnlich erfolgreich wie unsere Freunde jenseits des Atlantiks bei ihren Einsätzen in Vietnam, Irak, Afghanistan und Libyen in fernen Ländern aufmarschieren. Oh Herr, lass Gehirn regnen!

Ich wechselte rasch zum Sportteil



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