Der Mann, der Hunde liebte by Leonardo Padura

Der Mann, der Hunde liebte by Leonardo Padura

Autor:Leonardo Padura [Padura, Leonardo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: 20. Jahrhundert, Frida Kahlo, Geschichte, Karibik, Kuba, Revolution, Sowjetunion, Spanien, Stalinismus, Trotzki, Trotzkismus
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-19T05:00:00+00:00


19

Der 8. Januar 1978 war vielleicht der kälteste Tag des Winters. Ich schrieb die Abwesenheit meines Freundes den Temperaturen und dem Regen zu, der über das Meer und den Sand hinwegfegte. War der Mann, der Hunde liebte, vielleicht krank geworden und darum zum ersten Mal einer Verabredung ferngeblieben? Tags darauf rannte ich, kaum hatte ich die Fahnenabzüge in der Druckerei abgegeben, zur Haltestelle des Estrella, der mich zum Strand brachte. Es war immer noch kalt, aber der Himmel war wolkenfrei und das Meer ungewöhnlich ruhig für diese Jahreszeit. Ich schlenderte am Strand entlang oder legte mich unter eine Kasuarine und wartete, wieder vergebens, bis zum Einbruch der Dunkelheit. In den nächsten zehn Tagen lief ich, trotz Raquelitas Protesten, wie ein Besessener durch die halbe Stadt und fuhr sechs weitere Male an den Strand. Ich betete um das Auftauchen des Mannes, der Hunde und des Schlusses jener fesselnden Geschichte.

Während ich mir die Zeit mit irgendwelchen Spielchen vertrieb – ich schnippte zum Beispiel Münzen in die Luft, schloss für zehn Minuten die Augen und zählte die Sekunden –, erwog ich sämtliche Möglichkeiten, die das Ausbleiben des Mannes hätten rechtfertigen können, obwohl das Einschläfern von Dax und López’ Gesundheitsprobleme wohl die wahrscheinlichsten Gründe dafür waren. Nach der sechsten oder siebten vergeblichen Fahrt an den Strand überlegte ich mir, ob ich nicht herausfinden sollte, wie ich López erreichen konnte – die Spur der einzigartigen Borsois, die in einem Film mitspielten, schien mir die verheißungsvollste –, doch dann kam ich zu dem Schluss, ich hätte kein Recht dazu, und es sei das Beste für mich, es nicht zu versuchen. Das Spiel mit dem Feuer ist schon gefährlich genug, man muss nicht noch mitten hineinspringen. Mitte Februar, nach einem handfesten Streit mit Raquelita, fuhr ich nur noch seltener an den Strand, und als hätte ich mich von einer Droge befreien wollen, suchte ich nach Wegen zur Bekämpfung meiner inneren Unruhe, die durch die nutzlose Warterei voller Fragezeichen hervorgerufen wurde.

Viele Jahre später vertraute ich Dany an, dass ich an dem Tag, an dem ich ihm die Bücher über Trotzki zurückgegeben hatte, drauf und dran gewesen war, ihm von meinen Treffen mit dem Mann, der Hunde liebte, zu erzählen. Der Gedanke, der einzige Bewahrer einer Geschichte zu sein, die die Grundfesten so vieler Träume erschüttern konnte, trieb mich dazu, den Schrecken loszuwerden, ihn mit anderen zu teilen, und verursachte eine Art mentalen Schwindel bei mir, der schlimmer war als die Schwindelanfälle, unter denen López litt. Der Missbrauch von Idealen, die Manipulation oder Verschleierung von Wahrheiten, das Verbrechen als Staatsprinzip, die zynische Konstruktion einer großen Lüge, all das rief Empörung und noch größere und neue Ängste in mir hervor.

Was mich aber am meisten interessierte, war das Schicksal von Ramón Mercader, von dem ich – durch den Zeitungsartikel, den ich in der Trotzki-Biografie gefunden hatte – nur wusste, dass er in einem mexikanischen Gefängnis gewesen war und man ihn später in einem ihm und seiner Tat gegenüber feindseligen Moskau empfangen hatte, dort, wo er laut López gestorben war, in einer Anonymität, die sogar sein Grab mit einschloss.



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