Der Kuß der Schlange by Ruth Rendell
Autor:Ruth Rendell
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Krimi
veröffentlicht: 2011-02-28T23:00:00+00:00
»Der Laden, in dem er war, nennt sich SÜDAMERIKATOURS, Howard. Ginge hat sich nicht getraut, ihm zu folgen, dieser feige Hund.«
Howards Stimme klang dünn und trocken. »Und jetzt denkst du, was ich auch denke.«
»Natürlich. Irgendein Ort, wo wir keine Zugriffsmöglichkeit haben. Der hat bestimmt über Eisenbahnräuber gelesen, und dabei ist er auf die Idee gekommen. Die verdammten Zeitungen stiften wirklich mehr Schaden als Nutzen.«
»Aber mein Gott, Reg, der muß ja eine Todesangst haben, wenn er es auf sich nimmt, seinen Job an den Nagel zu hängen und nach Brasilien oder sonstwohin abzuhauen. Was will er dort machen? Wovon will er leben?«
»Wie die Vögelein unter dem Himmel, mein lieber Neffe. Ja, weiß Gott. Hör mal, Howard, könntest du wohl was für mich tun? Könntest du dich bei Marcus Flower erkundigen, ob die ihn womöglich nach Übersee schicken? Ich trau mich nicht.«
»Na gut, ich traue mich«, meinte Howard. »Bloß, in dem Fall würden sie doch auch die ganze Sache arrangieren und bezahlen?«
»Aber sie würden es nicht für das Mädchen arrangieren und bezahlen, stimmt’s?«
»Also, ich tue, was ich kann, und ruf dich heute abend an.«
War das der Grund, weshalb Hathall so sparsam gelebt hatte? Um die Reisekosten für seine Komplizin zusammenzusparen? Er mußte entweder bereits drüben einen Job haben, oder aber er mußte verzweifelt darauf aus sein, sich in Sicherheit zu bringen. In dem Fall wollte das Geld für zwei Flugtickets erst einmal zusammengebracht sein. Ihm fiel ein, daß er im Kingsmarkham Courier, der ihm am Morgen auf den Schreibtisch gelegt worden war, eine Werbeanzeige für Reisen nach Rio de Janeiro gesehen hatte. Er fischte die Zeitung unter einem Papierstapel hervor und betrachtete die Rückseite. Da war sie: Hin- und Rückreise angeboten für wenig mehr als dreihundertfünfzig Pfund. Rechnete man für zwei Einzelflüge ein wenig mehr, dann wurden Hathalls Sparmaßnahmen durchaus plausibel…
Er wollte die Zeitung eben wegwerfen, da fiel sein Blick auf einen Namen in den Todesanzeigen. Somerset. »Am 15. Oktober verstarb in Church House, Old Myringham, meine geliebte Frau Gwendolen Mary Somerset. Mark Somerset. Trauerfeier am 22. Oktober in der St.-Lukas-Kirche. Bitte keine Blumen, sondern Spenden an das Heim für unheilbar Kranke in Stowerton.« So war also jene arme, ewig klagende Frau schließlich gestorben. Die ›geliebte‹ Frau? Vielleicht war sie es gewesen, vielleicht war es aber auch nur die übliche Heuchelei, eine so schale, allgemeine und automatische Formel, daß sie schon kaum noch eine Heuchelei war. Wexford lächelte flüchtig und vergaß es dann. Er ging früh nach Hause – die Stadt war ruhig und ohne Kriminalität – und wartete auf Howards Anruf.
Das Telefon klingelte um sieben, aber es war Sheila, seine jüngere Tochter. Sie und ihre Mutter plauderten etwa zwanzig Minuten lang, und danach klingelte das Telefon nicht wieder. Wexford wartete bis halb elf, dann wählte er selbst Howards Nummer.
»Verdammt noch mal, er ist ausgegangen«, sagte er verstimmt zu seiner Frau, »das ist doch wirklich die Höhe.«
»Warum soll er abends nicht ausgehen? Ich meine, er arbeitet doch hart genug.«
»Arbeite ich vielleicht nicht? Ich treib mich aber abends nicht rum, wenn ich Leuten versprochen habe, sie anzurufen.
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