Der Fluch der goldenen Möwe by Peter Gerdes

Der Fluch der goldenen Möwe by Peter Gerdes

Autor:Peter Gerdes [Gerdes, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-86412-157-9
Herausgeber: Leda-Verlag
veröffentlicht: 2015-09-27T16:00:00+00:00


23.

Diesmal hat sein Entführer ihm Hand- und Fußgelenke dick mit Klebeband umwickelt. Außerdem noch die Knie, was jede Bewegung zusätzlich erschwert. An Bewegung aber ist sowieso nicht zu denken; sein gesamter Körper ist ein einziger Klumpen Schmerz, und jedes Muskelzucken steigert die Pein ins Unerträgliche. Hat sein Entführer ihn vielleicht wieder geschlagen und getreten, aus lauter Wut über den nur knapp vereitelten Fluchtversuch? Möglich, aber mitbekommen hat er nichts davon, die Treppenstufe hat ihn gründlich ausgeknockt. Vielleicht ist er ja auch an den Fußknöcheln die ganze Treppe hinunter geschleift worden, und die vielen schmerzhaften Prellungen und Schrammen rühren daher.

Oder – hat ihm sein Peiniger etwa wieder eine Spritze gesetzt?

Nein, denkt er, nein, das fühlt sich anders an. Ganz anders. Viel schlimmer. Ein Gedanke, an den er sich klammert und von dem er hofft, dass er ihn trägt.

Wehe, es stellt sich heraus, dass er sich täuscht!

Wehe, tja. Wehe wem? Wen kann er verfluchen? Sein Stoßgebet zu Gott ist ins Leere gestoßen. Sinnlos, noch einen Fluch hinterherzuschicken. Ins Nichts. Vakuum statt himmlisches Paradies, das sagt die Physik ja schon lange. Und die Physik, das ist seine Welt, dort ist er zu Hause, nicht in der Metaphysik. Er ist Arzt, also Wissenschaftler, was hat er hier überhaupt zu glauben und zu beten? Gar nichts!

Also auch nichts zu hoffen. Das ist das Problem.

Ist das sein Problem? Nein, korrigiert er sich, mein Problem ist, das ich in diesem Keller hier verschimmeln und verfaulen werde. Zusammen mit meinem Kollegen und Partner Henning van der Werft.

Er kann den anderen flach atmen hören. Scheint immer noch bewusstlos zu sein. Wurde er schon gespritzt? Wer weiß. Aber es sieht wohl so aus, dass Henning das Gleiche bevorsteht, das er schon erdulden musste.

Spürt er da eine leise Dankbarkeit? Dass sein Peiniger jetzt ein neues Ziel für seine perversen Aktionen hat, dass der Typ vielleicht von ihm ablässt, um sich ausgiebig mit dem frischen Opfer zu befassen? Ist das für ihn schon ein Grund zu hoffen? Womöglich gar ein Grund zu danken, Gott zu danken, dass der ein zweites Opferlamm geschickt hat? Wie verächtlich wäre das denn.

Dann wird er sich wohl verachten müssen, stellt er fest. Genau das ist nämlich tatsächlich sein Wunsch, seine Hoffnung. Dass Henning an seiner Stelle leiden muss, wenigstens eine Weile lang. So denkt er, so fühlt er, das ist nicht zu leugnen.

Es ist seine einzige Hoffnung.

Und dann? Das Todesversprechen steht im Raum, und nichts spricht dagegen, dass es irgendwann in naher Zukunft eingelöst wird. Vielleicht jetzt, da ihr Entführer seine beiden Opfer beisammen hat? Oder will er etwa noch mehr?

Aber warum?

Kann es dafür überhaupt eine rationale Erklärung geben?

Vielleicht. Aber eher nicht. Oder doch? Henning van der Werft und Dietz Lichterfeld, das Erfolgsduo der regionalen Medizin- und Finanzszene, nein, das kann kein Zufall sein. Der Mann wollte genau sie beide, und jetzt hat er sie.

Lohnt sich die Frage nach dem Warum noch?

Er hat sich die Frage natürlich schon oft gestellt. Wenn auch nicht so oft, wie er wohl vermutet hätte, wäre er in einer anderen Situation danach gefragt worden.



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