Der entfesselte Globus by Ilija Trojanow

Der entfesselte Globus by Ilija Trojanow

Autor:Ilija Trojanow [Trojanow, Ilija]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446233553
Herausgeber: Carl Hanser Verlag München
veröffentlicht: 2015-08-19T17:00:00+00:00


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Die Probleme, die Bombay diesen Sommer mit Wundbrand überzogen haben, stehen im Mittelpunkt dieser drei Bücher, die allesamt, jedes auf seine eigene Art, einen holistischen Blick auf die Stadt richten. Ausgangspunkt ist ein neuer Kampf um Differenz, genährt von einem vermeintlichen Zwang zur Selbstbehauptung, mal rhetorisch, mal gewaltsam geführt. Die meisten Stadtbewohner sind Zuwanderer, und selbst jene, die seit einer oder mehreren Generationen hier zu Hause sind, halten enge Beziehungen zu den Orten ihrer Herkunft aufrecht. Geschaffen und geformt von den Briten, erbaut und beseelt von parsischen Schiffsbauern, Händlern aus Gujarat, Textilarbeitern aus den Dörfern Maharashtra, Dalit-Hilfsarbeitern aus dem Süden, Musikern und Lehrern aus Goa, bot Bombay seit jeher verschiedenen Menschen eine Heimat, ohne irgendeiner Gemeinschaft zu eigen zu sein. In dieser »Stadt des Goldes« gab es für jeden Menschen Platz und Auskommen. Das änderte sich, als die Stadt eine kritische Größe, eine erträgliche Dichte an Besiedelung, überschritt. Parteien wie die Shiv Sena begannen die Frage nach der Zugehörigkeit zu stellen. Die Schuldigen an der städtischen Krise waren schnell ausgemacht: Flüchtlinge aus Bangladesh und Muslime im allgemeinen. Benannt nach Shivaji, einem Fürst der Marathas aus dem 17. Jahrhundert, der aus chauvinistischer Sicht zu einem Kriegshelden mit Heiligenstatus erhöht wurde, propagierte die Shiv Sena ab den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Politik der Ausgrenzung und etablierte sich gleichzeitig als Sozialverband, der in den ärmeren Vierteln ein Versorgungsnetzwerk aufbaute, parallel zu den fast moribunden Strukturen der Stadtverwaltung. Mit ihrer Sozialarbeit gewann die Shiv Sena die Sympathie der Slumbewohner, mit ihrer Demagogie vermittelte sie der meist hinduistischen Mittelklasse, die einen täglichen Kampf um den Erhalt ihrer kleinen Privilegien führen muß, ein neues Selbstwertgefühl. Indem sie eigene Gewerkschaften gründete, die der traditionellen, kommunistisch orientierten Arbeiterbewegung das Wasser abgruben, sicherte sie sich auch Rückhalt bei den Reichen und Einflußreichen.

Wenn Differenz angemahnt und öffentlich inszeniert wird, suchen die Ausgegrenzten nach eigenen Fluchtpunkten. Jede Seite verschanzt sich hinter Bunkern einer vermeintlich homogenen Identität und baut ihre Arsenale aus. Die Explosion ist nur noch einen Funken entfernt. Suketu Mehta läßt sein grandioses Stadtporträt folgerichtig im Dezember 1992 beginnen, als in einer kleinen nordindischen Stadt namens Ayodhya ein Mob, dem seit Monaten mit fanatischen Parolen eingeheizt wurde, die Babri-Moschee zerstörte, weil sie angeblich auf der Stelle eines besonders heiligen Ram-Tempels errichtet worden war. Innerhalb von Stunden wurde der Bau Stein um Stein entweiht, bis von ihm nichts übriggeblieben war außer einer brennenden Wunde. Der Schock unter den etwa 150 Millionen Moslems Indiens war groß und die Bereitschaft zurückzuschlagen enorm. An vielen Orten reagierten die Verantwortlichen umsichtig: die Leitung des größten Seminars des Landes in Deoband ließ die Tore der Lehranstalt für drei Tage verschließen, damit die aufgebrachten Studenten nicht in das Städtchen ziehen konnten. Doch in Bombay, gerade in dem toleranten, kosmopolitischen Bombay, geschah das Unfaßbare. Die Stadt entzündete sich, Menschen wurden vergewaltigt, gelyncht, angezündet. Die Polizei schoß – manchmal wahllos – auf jene, die sich auf die Straße gewagt hatten. Wer wo wann mit der Gewalt begonnen hat, ist im Nachhinein schwer auszumachen. Tatsache ist, daß sich



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