Der Beigeschmack des Todes by James P. D

Der Beigeschmack des Todes by James P. D

Autor:James, P. D. [James, P. D.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


7

Sie wußte, Ivor würde in dieser Nacht wiederkommen. Aber anrufen würde er vorher nicht. Einerseits war er übervorsichtig, andererseits rechnete er damit, daß sie zu Hause blieb, wenn sie wußte, daß er höchstwahrscheinlich kommen würde. Zum erstenmal, seit sie sich in ihn verliebt hatte, graute es ihr vor dem Läuten der Türglocke — einmal lang, dreimal kurz — , dem verabredeten Signal. Warum kann er nicht anrufen, dachte sie empört, und klipp und klar sagen, wann er kommt? Sie versuchte, sich auf ihre neueste Arbeit zu konzentrieren, auf die Montage von zwei Schwarzweißfotografien, die sie im vergangenen Winter im Richmond Park aufgenommen hatte. Es waren Bilder vom kahlen Geäst riesiger Eichen, über denen sich Wolken ballten. Sie wollte die Aufnahmen so montieren, daß das Ästegewirr aussah wie Wurzeln, die von einer Wasseroberfläche widergespiegelt wurden. Aber je länger sie die Bilder hin und her schob, desto unzufriedener wurde sie. Die Idee gefiel ihr nicht mehr, kam ihr nur noch wie billige Effekthascherei vor. Wie ihre ganze Arbeit war dieser Einfall typisch für ihr Leben: mittelmäßig, belanglos, unselbständig, abgeleitet aus der Erfahrung und den Ideen anderer Menschen. Sogar den technisch gelungenen Aufnahmen von London fehlte es an Überzeugungskraft. Es waren klischeehafte Bilder, mit Ivors Augen gesehen, nicht mit ihren eigenen. Ich muß endlich lernen, dachte sie, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden, wenn es auch schon fast zu spät ist, wenn es auch weh tut. Ich muß. Und sie fand es sonderbar, daß erst ihr Vater sterben mußte, damit sie entdeckte, was sie eigentlich war.

Gegen acht Uhr verspürte sie Hunger und machte sich Rühreier. Umsichtig stellte sie die Gasflamme ganz klein, als sollte Ivor mitessen. Als sie das Geschirr spülte, war er noch immer nicht da. Sie trat auf den Balkon und blickte über den Garten hinweg auf den dunklen Wohnblock gegenüber, wo allmählich die Lichter angingen, wie Zeichen aus dem All. Die unbekannten Menschen da drüben sahen sicherlich auch ihr Fenster, die hellerleuchtete Glasfront. Würde sich die Polizei bei ihnen erkundigen, ob Dienstag nachmittag bei ihr die Lampen gebrannt hatten? Ob Ivor in seiner Voraussicht auch das einkalkuliert hatte?

Während sie in die Nacht schaute, mußte sie an ihren Vater denken. Sie wußte genau, wann sich ihre Beziehung gewandelt hatte. Damals hatten sie — ihre Eltern, sie und Mattie — noch in dem Haus in Chelsea gewohnt. Es war gegen sieben Uhr an einem nebligen Augustmorgen gewesen. Sie saß allein im Eßzimmer und schenkte sich eben Kaffee ein. Da läutete das Telefon in der Eingangsdiele. Sie hob ab und erfuhr die Nachricht, als ihr Vater gerade die Treppe herunterkam. Als er ihr bestürztes Gesicht sah, stockte er und hielt sich am Geländer fest.

»Es ist der Oberst von Onkel Hugo«, hatte sie gesagt und dabei zu ihm emporgeschaut. »Er wollte die Nachricht selbst übermitteln. Onkel Hugo ist tot, Vater.«

Ihre Blicke hatten sich getroffen, einen Moment lang ineinander versenkt, und da hatte sie es gesehen — diese Mischung aus Jubel und wilder Hoffnung, die Erkenntnis, daß er Barbara nun haben konnte. All das dauerte höchstens eine Sekunde.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.