Das Verbrechen by David Hewson

Das Verbrechen by David Hewson

Autor:David Hewson [Hewson, David]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-02-24T05:00:00+00:00


Sechstes Kapitel

MONTAG, 14. NOVEMBER

Das sanfte Plätschern ferner Wellen. Kreischende Möwen. Ein ungewohntes Bett. Das hartnäckige Klingeln eines Telefons. Lund erwachte nackt unter der billigen Polyester-Bettdecke der Pension in Gudbjerghavn. Allein. Im ersten Moment noch nicht ganz bei sich. Kleider, über einen knallig orangefarbenen Teppich verstreut. Die Uhr zeigte 8 Uhr 31. Es war ihr Handy, es klingelte in der Tasche neben dem Bett. Sie griff danach, froh, dass Borch nicht mehr da war.

»Wo sind Sie?«, rief Brix.

»Ich bin nur …«

»Es hat einen Einbruch in der Schule gegeben. Borch führt dort das Regiment. Der gehört aber nicht zu meinen Leuten. Sie schon. Fahren Sie hin.«

Die Vorhänge waren nur halb geschlossen. Sie fragte sich, ob jemand sie beobachtet hatte. Sie stand auf und schloss sie ganz. Sammelte ihre Kleider ein und ging in ihr eigenes Zimmer. Duschte flüchtig. Dann zwischen den provisorisch aufgestellten Schreibtischen durch, vorbei an wachsamen Augen, zum Auto hinaus.

Nicht lange nachdem Lund zu der Schule aufgebrochen war, ließ sich Hartmann auf einem Stuhl in dem kleinen Café nieder, das Morten Weber jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit aufsuchte. Es lag in der Nähe seiner bescheidenen Wohnung, nicht weit vom Hauptbahnhof. Weber hatte sie sich gekauft, als er nach dem Studium seinen ersten Job als politischer Rechercheur bekommen hatte. Sie waren im selben Jahrgang gewesen. Hartmann – gutaussehend, eloquent, charmant – war das öffentliche Gesicht der Partnerschaft, Weber das Genie im Hinterzimmer. Gemeinsam hatten sie Pläne geschmiedet, Intrigen gesponnen und die lokalpolitische Karriereleiter erklommen, erst ins Rathaus von Kopenhagen, dann weiter zum höchsten Ziel, der Position des Ministerpräsidenten. Im Allgemeinen begegneten sie einander auf Augenhöhe. Aber die Spannungen schwelten, und manchmal führten sie zu einem Ausbruch.

»Du bist spät dran«, sagte Hartmann. Er bestellte Kaffee. Sein Dienstwagen stand draußen, die Bodyguards genossen für einen Augenblick die Wintersonne. Weber schaute nicht auf. »Kann ich dich zum Frühstück einladen?«

»Ich kann mein Frühstück selbst bezahlen. Verpiss dich.«

»Mal was anderes als ein fröhliches guten Morgen. Besteht eventuell die Möglichkeit, dass du nachher im Büro erscheinst?«

»Hinrichtungen sind nicht besonders spaßig, danke.«

Hartmann nickte.

»Ich bin übrigens nicht zurückgetreten.«

Webers Knopfaugen richteten sich auf ihn.

»Du denkst immer noch darüber nach. Das hatten wir doch schon mal vor sechs Jahren. Das letzte Mal war Lund noch zugange. Ohne mich hättest du damals schon das Handtuch geworfen.«

Das stimmte. Aber man musste ihn nicht daran erinnern.

»Ich dachte, wir hätten Ussing«, sagte Hartmann. »Möglich, dass ich mich irre. Vielleicht waren die Bilder, die Karen gefunden hat, zu gut, um wahr zu sein. Wie sich herausgestellt hat, sind Schultz und er alte Freunde. Sie haben ab und zu miteinander Squash gespielt.«

»Traue nie einem Mann, der Squash spielt.« Der dickliche Weber hielt nichts von Sport. »Es ist unnatürlich.«

»Die suchen immer noch nach Emilie Zeuthen. Brix hält sich bedeckt. Ich glaube nicht, dass er eine Ahnung hat, ob sie tot ist oder … ob Lund eine heiße Spur hat.«

Weber schob seine Kaffeetasse beiseite, schaute auf die Uhr, gähnte.

»Ich brauche dich heute, Morten.«

»Du brauchst mich immer.«

»Also kommst du?«

»Hörst du schlecht?«

»Am Ende bin ich entweder der König im Schloss, oder Birgit Eggert steht an meinem kalten, stillen Leichnam.



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