Das letzte Revier by Patricia Cornwell

Das letzte Revier by Patricia Cornwell

Autor:Patricia Cornwell
Die sprache: eng
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2011-11-10T14:12:51+00:00


19

Aaron führt mich die Treppe wieder hinunter und lächelt mich an, während er mir die Tür aufhält. Der Polizist winkt mir zu, als ich durch das Tor auf den Capitol Square fahre. Während das Haus in meinem Rückspiegel verschwindet, habe ich das Gefühl von etwas Abgeschlossenem, Endgültigem. Etwas ist zu Ende. Mein Leben, wie es bisher war, und ich verspüre einen Hauch Misstrauen gegenüber einem Mann, den ich bislang sehr bewunderte. Nein, ich glaube nicht, dass Mitchell etwas Unrechtes getan hat. Aber ich weiß, dass er nicht ganz ehrlich mit mir war. Er ist dafür verantwortlich, dass Chandonne sich nicht im Bereich unserer Jurisdiktion befindet, und der Grund dafür ist die Politik, nicht die Gerechtigkeit. Ich spüre es. Ich bin mir sicher. Mike Mitchell ist kein Staatsanwalt mehr. Er ist Gouverneur. Warum bin ich überrascht? Was habe ich erwartet?

Das Stadtzentrum wirkt unfreundlich und fremd, als ich die Achte Straße zur Schnellstraße entlang fahre. Ich studiere die Gesichter der Menschen, die mir entgegenkommen, und wundere mich, dass keiner von ihnen im Hier und Jetzt anwesend ist. Sie fahren und blicken in den Spiegel, langen nach etwas auf dem Beifahrersitz, hantieren am Radio, telefonieren oder sprechen mit ihren Mitfahrern. Sie bemerken die Fremde nicht, die sie beobachtet. Ich sehe ihre Gesichter so deutlich, dass ich sagen kann, ob sie attraktiv oder hübsch oder von Aknenarben entstellt sind, oder ob sie gute Zähne haben. Mir wird klar, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Mördern und Mordopfern darin besteht, dass die Mörder präsent sind. Sie leben im Augenblick, nehmen ihre Umgebung wahr, sind sich jedes Details bewusst und kalkulieren, ob es ihnen nützen oder schaden wird. Sie beobachten Fremde. Sie fixieren ein Gesicht und entscheiden, ob sie der Person folgen werden. Ich frage mich, ob auf diese Weise meine jüngsten Patienten, die beiden jungen Männer, ausgewählt wurden. Ich frage mich, mit welcher Art Raubtier ich es zu tun habe. Ich frage mich, was der wahre Grund war, warum der Gouverneur mich heute Abend sehen wollte, und warum er und seine Frau den Fall aus Jamestown City County ansprachen. Irgendetwas geht hier vor. Etwas Ungutes.

Ich höre meinen Anrufbeantworter zu Hause ab. Sieben Nachrichten wurden hinterlassen, drei davon von Lucy. Sie sagt nicht, was sie will, nur dass ich sie zurückrufen soll. Ich versuche es auf ihrem Handy, und als sie sich meldet, spüre ich ihre Nervosität. Sie ist nicht allein. »Alles in Ordnung?«, frage ich sie. Sie zögert. »Tante Kay, ich möchte mit Teun vorbeikommen.«

»McGovern ist in Richmond?«, frage ich überrascht. »Wir könnten in einer Viertelstunde bei Anna sein«, sagt Lucy. Signale stürmen auf mich ein. Ich kann nicht ausmachen, was sich in meinem Unterbewusstsein regt und mir eine überaus wichtige Wahrheit vor Augen führen will. Was ist es, verdammt noch mal? Ich bin beunruhigt, nervös und verwirrt. Hinter mir drückt ein Autofahrer auf die Hupe, und mein Herz überschlägt sich. Ich schnappe nach Luft. Die Ampel hat auf Grün geschaltet. Der Mond ist nicht voll und von Wolken verschleiert, der James River eine dunkle Ebene unter der Huguenot Bridge, als ich auf die Südseite der Stadt fahre.



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