Das Banner der Königin by Chadwick Elizabeth
Autor:Chadwick, Elizabeth [Chadwick, Elizabeth]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-05-09T16:00:00+00:00
Mit seinen zehn Jahren ritt Prinz Heinrich selbstbewusst und aufrecht auf seinem fuchsbraunen Pony, die Zügel hielt er locker in der Hand. Er war er ein leicht untersetzter Junge, kräftig und nicht allzu groß, und hatte so gar nichts von der langgliedrigen Eleganz seines Vaters geerbt. Führwahr, dachte John Marshal, der hinter ihm ritt, ähnelte er bis auf die rotbraunen Haare vielmehr seinem Großvater, König Heinrich. Wenn er nun auch ähnliche Eigenschaften entwickeln würde, war alles gut. Die Frühreife des Kindes machte John großen Spaß. Heinrich konnte sich sowohl auf Lateinisch als auch auf Französisch unterhalten, und fluchen konnte er auch noch in jeder Menge anderer Sprachen – dank der Söldner aus aller Herren Länder, die sich am Hof seiner Mutter aufhielten.
Nach der Niederlage in Winchester war Gloucester gegen Stephan ausgetauscht worden, sodass sich die Sache wieder auf demselben Stand wie vor Lincoln befand und keine der beiden Parteien einen Vorteil gewonnen hatte. Beiden Seiten hatte zahlreiche Niederlagen hinnehmen müssen, aber auch Erfolge errungen. In Oxford hätte man die Kaiserin beinahe festgesetzt, wäre sie nicht in letzter Sekunde im Schnee über den zugefrorenen Fluss entkommen. Und beim Kampf um Wilton Abbey wäre Stephan fast ein zweites Mal gefangen genommen worden. Im Augenblick waren die Machtverhältnisse in etwa ausgeglichen. Die Kaiserin hielt in Devizes Castle Hof und hatte, um die Moral ihrer Anhänger zu stärken und ihnen zu zeigen, wofür sie kämpften, den zehn Jahre alten Heinrich für einige Zeit aus der Normandie zu sich geholt. Heute schließlich wurde er von einer Eskorte nach Bristol gebracht, um mit dem Schiff an die sicheren Küsten der Normandie und in die Obhut seines Vaters zurückzukehren.
Den Jungen hatte John Marshals Entstellung nicht im Mindesten beeindruckt. Stattdessen zeigte er sich neugierig und hatte genaue Fragen gestellt. Auf John wirkte diese Art sehr erfrischend. Für gewöhnlich taten die Menschen so, als würden sie die eine Seite seines Gesichts gar nicht sehen, oder sie blickten entsetzt und voller Abscheu zur Seite. Mitleid hasste John am meisten. Heinrich war eine Ausnahme, da er offenbar den ganzen Menschen zu sehen schien. Obwohl er in diesem Alter noch unfertig und sein Charakter formbar war, sah John deutlich die Möglichkeiten, die in ihm schlummerten.
»Jetzt versteht Ihr sicher besser, worum es bei diesen Kämpfen geht«, erklärte Gloucester, während er sich zu John gesellte. »Stephans Sohn wird diesem Jungen nicht das Wasser reichen können, wenn er erst erwachsen ist.«
John nickte, denn er konnte Gloucester nur zustimmen. Der junge Heinrich hatte die offene Art, die seiner Mutter abging, und zugleich besaß er bereits heute die würdige Haltung eines zukünftigen Königs.
»Unsere Aufgabe ist es, ihm die nötige Zeit zum Heranwachsen und Reifen zu verschaffen«, fügte Robert hinzu.
»Oh, nichts leichter als das.«
Robert fühlte sich sichtlich unbehaglich. »Ich weiß, dass die Kaiserin nicht allzu viel sagt, aber sie ist Euch dankbar für alles, was Ihr für sie getan habt.«
John spürte, wie Bitterkeit in ihm aufstieg. Was wog diese Dankbarkeit schon im Verhältnis zu dem, was er verloren hatte? Natürlich wusste er, dass Matilda nur wenige Quellen besaß, aus denen sie ihre Gefolgsleute für ihre Dienste hätte entlohnen können.
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