Carlo Ancelotti. Die Autobiografie by Ancelotti Carlo; Alciato Alessandro

Carlo Ancelotti. Die Autobiografie by Ancelotti Carlo; Alciato Alessandro

Autor:Ancelotti, Carlo; Alciato, Alessandro [Ancelotti, Carlo; Alciato, Alessandro]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper Verlag
veröffentlicht: 2016-06-26T22:00:00+00:00


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Die wacklige Bank

Es kommt vor, dass ich mich vor den Spiegel stelle und mich als Schlangenmensch versuche. Ich drehe den Kopf so lange, bis ich meinen Allerwertesten im Blick habe. Nicht, dass der so ein umwerfender Anblick wäre, aber darum geht es auch gar nicht. Ich gucke und denke mir: »Du hast schon einiges abgekriegt, auch wenn man’s dir nicht ansieht.« Einen Tritt nach dem anderen. Erdbeben, die ihr Epizentrum immer bei mir haben und deren Stöße sich nicht ins Umfeld fortsetzen. Daher weiß ich: Ich habe einen erdbebensicheren Arsch.

Denn die Trainerbank ist wohl die wackligste auf Gottes weiter Erde. Und sie erlebt Stöße, deren Stärke alle Grade der Richterskala anzeigen. Tellurische Ströme und Ausbrüche. Die sich noch steigern: anfangs nur ein leichtes Rumoren, aber dann die Eskalation. Meiner Umgebung geht es gut, sie ist wohlauf, ich aber sitze direkt auf einem Vulkan. Immer schon.

Ich stehe ständig kurz vor der Entlassung. Als ich Sacchis Nationalmannschaft verließ, reifte ich mit dem AC Reggiana in der Serie B, der zweiten Liga, zu einem richtigen Trainer heran: Dort wollte man mich schon nach drei Monaten in die Wüste jagen. Es gibt ja immer ein erstes Mal. Am siebten Spieltag standen wir auf dem letzten Tabellenplatz: nach drei Niederlagen und vier Unentschieden. Niemand war schlechter als wir. Eine Chaotentruppe, und der Oberchaot war ich, denn ich war vom italienischen Fußballverband abgemahnt worden, weil ich den nötigen Trainerschein noch nicht hatte. Meinen Co-Trainer, Giorgio Ciaschini, hatte ich im Almanacco illustrato del calcio, dem Einklebealbum mit den Panini-Bildchen, gefunden. Der Konditionstrainer war ein ehemaliger Diskuswerfer namens Cleante Zeat. Außerdem hatten wir noch Marco Di Costanzo aus Nizza, auch »Maradona der Armen« genannt. Vom »Goldjungen« hatte er vor allem dessen Art, Elfmeter zu schießen, der ganze Rest stammte eher von den Armen. Ein wunderbarer Kampfgefährte. Selbst die Fans aus der Emilia ließen mich im Stich. Das war ein bisschen so, als würde man von der eigenen Familie verstoßen. Schuld war unser Spiel gegen Cosenza. Es stand 1 : 0 für uns, sie waren nur zu neunt, weil zwei Spieler Rot gesehen hatten. Wir kamen immer schön vors Tor, doch dort befiel uns dann der »Weihnachtswahn«: Wir wurden auf einmal alle furchtbar lieb und nett, und keiner wollte dem anderen beim Torschuss den Vortritt nehmen, ein Verhalten, wie man es aus dem Fußball sonst nicht unbedingt kennt.

»Bitte schieß doch.«

»Nein, nein, jetzt bist du mal dran.«

»Aber nein, mach du das Tor, du hast doch heute Geburtstag.«

Dann kam Di Costanzo: »Darf ich dann?«

Und die Mannschaft im Chor: »Nein, du kannst nur Elfmeter schießen.«

Ein paar Sekunden vor Schluss macht der gegnerische Torwart einen langen Abstoß. Der Ball landet in unserem Strafraum. Sie springen zu dritt hoch: unser Gregucci, der Torwart Ballotta, der damals schon alt, und Cristiano Lucarelli von Cosenza, der damals schon Kommunist war. Zwei von den dreien sind in der Luft zusammengekracht: Ballotta und Gregucci. Lucarelli musste nur noch aufs leere Tor schießen. 1 : 1, und der Teufel war los.

Am achten Spieltag hatten wir eine Woche Intensivtraining hinter uns, und es hieß: Entweder ihr gewinnt, oder Ancelotti wird mit Fußtritten aus dem Amt gejagt.



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