Broken - Sechs Geschichten (German Edition) by Winslow Don

Autor:Winslow, Don [Winslow, Don]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HarperCollins
veröffentlicht: 2020-03-23T16:00:00+00:00

FÜR MR. RAYMOND CHANDLER

Sunset

Duke Kasmajian sitzt auf seiner Veranda, kaut auf einer unangezündeten Zigarre herum und betrachtet den Strand, den er nie betritt.

»Zu viel Sand«, antwortet er auf die Frage nach dem Grund.

Im Sand lässt es sich schlecht gehen, vor allem, wenn man mit knapp eins achtzig hundertdreißig Kilo auf die Waage bringt, kaputte Knie hat, es keine Garantie auf die neue Herzklappe gibt und der fünfundsechzigste Geburtstag im Rückspiegel immer kleiner wird. Außerdem liebt Duke teure Schuhe und möchte nicht, dass sie sandig werden, womit sich erklärt, warum er das Meer lieber von der Terrasse seines Hauses in Bird Rock aus betrachtet.

Selbst wenn ihm der Kardiologe zu mehr Bewegung rät.

Duke besitzt ein Laufband und einen Stepper, die er nie benutzt. Sie sind die teuersten Garderobenständer der Welt.

Aber er hat aufgehört zu rauchen.

Ebenfalls auf ärztlichen Rat.

Daher die unangezündete Zigarre.

Ein gedrungenes Glas mit Scotch steht in Reichweite auf einem Hocker links von ihm. Den würde Duke für nichts auf der Welt aufgeben – nicht für den Arzt, nicht für seine Kinder, nicht einmal für das Dutzend seiner Angestellten im größten Kautionsbüro von San Diego, wenn nicht von ganz Kalifornien.

Der Duke ist eine Legende in San Diego.

Man sieht sein Gesicht auf Reklametafeln am Highway und im lokalen Fernsehen, und er macht auch im Radio Werbung.

»Keine Knete? Ruf den Duke.«

Er unterstützt Jugendmannschaften (»Rote Karte? Ruf den Duke«), finanziert Baseball-Turniere für Rollstuhlfahrer (»Ins Aus geschlagen? Ruf den Duke«) und ein Frauenhaus, das die härtesten seiner Kopfgeldjäger auf seine Kosten bewachen (keine Werbung in diesem Fall – nur Eingeweihte wissen von der Existenz des Hauses und kennen die Adresse).

Duke spricht nie über die Collegegebühren, die er übernimmt, die Geldscheine, die er an den Limonadenständen von Kindern liegen lässt, die Weihnachtskörbe für die Familien von ermordeten Cops und verunglückten Feuerwehrleuten oder die Arztrechnungen seiner Angestellten, die er sich im Krankenhaus schnappt, bevor sie zugestellt werden können.

Davon weiß keiner.

Muss auch nicht sein.

Die Leute brauchen nur zu wissen, wo sie anrufen müssen, wenn sie auf Kaution freikommen wollen. Als Kautionsbürge steht der Duke für Gleichberechtigung. Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Schuld oder Unschuld oder lange Vorstrafenregister spielen keine Rolle. Im Gegenteil, Duke bevorzugt Rückfalltäter, denn sie sorgen für regelmäßigen Geldeingang, und er bietet sogar »Vielflieger-Rabatte« an.

»Aber mach ja nicht die Fliege, sonst bekommst du es mit dem Duke zu tun«, lautet die Warnung.

Man darf sich nicht täuschen lassen von dem runden, freundlichen Gesicht, dem weichen, grau melierten Haar, dem schiefen, knurrigen Grinsen mit der Zigarre zwischen den Lippen. Wenn man Duke Kasmajian hintergeht, bringt er einen zur Strecke. Denn es ist sein Geld, mit dem man sich davonmacht. Falls einer, für den der Duke gebürgt hat, seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, dann jagt er ihn, bis er ihn gefunden hat oder einer von ihnen tot ist.

Er gibt niemals auf.

Genauso wenig, wie er seinen geliebten Scotch aufgeben würde.

Oder seine Vinylsammlung.

Die, wie jüngere Leute ihm berichten, wieder in Mode kommt.

Bockmist, denkt Duke, während er dem Jack-Montrose-Sextett mit »That Old Feeling« lauscht (Pacific Jazz Records, 1955). Vinyl war nie weg. Dukes Sammlung der

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