Bodensee-Blues by Ott Paul (Hsrg.)

Bodensee-Blues by Ott Paul (Hsrg.)

Autor:Ott, Paul (Hsrg.) [Ott, Paul (Hsrg.)]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-18T04:00:00+00:00


Stephan Pörtner: Der Mann für alles

Susi Unternährer fuhr nach Hause und zog sich um. Dann rief sie Ruedi Bosshard an. Der Mann für alles. So stand es auf seinem Lieferwagen. Dem Lieferwagen, der immer schräg gegenüber geparkt hatte, wenn Heidi den Chicorée geholt und das Geld deponiert hatte. Kaum dass der silberne Golf davongefahren war, fuhr auch der Lieferwagen weg. Susi hatte den Vorgang jeweils vom Kiosk aus beobachtet. Sie war nicht blind. Sie wollte wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Deshalb hatte sie sich auch die Telefonnummer aufgeschrieben, die auf dem Lieferwagen prangte. Natel: 078 585 55 33. Eine Handynummer. In der Schweiz hieß das Handy noch immer Natel, nach dem ersten Mobilfunknetz.

Es dauerte eine Weile, ehe Ruedi abnahm. »Ich muss Sie sofort treffen. Wo sind Sie?«

»Im Restaurant Roseneck, warum? Wer spricht denn da?«

Aber Susi hatte schon aufgelegt und schwang sich auf ihr Fahrrad. Fünf Minuten später betrat sie das Lokal. Sie hatte den Fahrer des Lieferwagens nie genau sehen können. Aber die Stimme hatte sie erkannt, als sie vorhin mit ihm gesprochen hatte. Die Stimme des Auftraggebers der Chicoréetransporte. Sie hatte sich einen Mann um die dreißig vorgestellt. Aber der Mann, der alleine am Tisch vor einer Stange Bier saß, sah eher aus wie fünfzig. Trotzdem wusste sie, dass er es war. Außer ihm waren nur zwei Geschäftsleute und drei alte Damen in dem Lokal.

»Ruedi Bosshard?« Susi Unternährer ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen.

»Sie?« Bosshard sah sie erstaunt an. »Wie haben Sie mich gefunden?«

Susi lachte. »Das war nun wirklich nicht schwer.«

»Was wollen Sie von mir?« Ruedi trank die halb volle Stange in einem Zug leer.

»Erklärungen. Was steckt hinter dieser Juwelengeschichte? Die Sache ist doch ein paar Nummern zu groß für Sie. Und was ist mit Heidi passiert? Sie ist tot, nicht wahr?«

Heidi war bei der Übergabe zwar immer stark geschminkt gewesen und hatte eine Perücke getragen. Aber sie trug auch ein paar auffällige Ohrringe. Dieselben, die die Leiche getragen hatte. Ruedi starrte ins Leere, dann gab er sich einen Ruck und winkte der Bedienung. »Noch eine Stange!«

»Zwei«, rief Susi. Es war zwar erst halb elf Uhr morgens, aber sie spürte noch den Kater vom Vorabend. Sie hatte eindeutig zu viel getrunken. Sonst hätte sie sich nicht auf diesen heruntergekommenen Wiener Adligen eingelassen. Der Gedanke an Norbert schauderte sie. So zärtlich er zu ihr gewesen war, so brutal war er zu den Moldawierinnen. Behandelte sie wie Schlachtvieh. Norbert war wohl ein Zuhälter, der das Geschäft noch gelernt hatte, als man die Frauen nicht einfach aus armen Ländern verschleppte, sondern sie erst verführen musste, um sie dann mit zunehmendem Druck auf den Strich zu schicken. Solche Feinheiten brauchte es heute nicht mehr. Der Bordellbesuch war gesellschaftlich akzeptiert, die Salons und Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden. Niemand fragte, woher das Frischfleisch stammte. Hauptsache, der Nachschub war gesichert. Die beiden Stangen kamen. Susi wollte anstoßen, aber Ruedi nahm bereits einen kräftigen Schluck.

»Sie sind schuld an allem!«, zischte er und knallte das Glas auf den Tisch.

»Wie bitte?« Susi stellte ihr Bier ab, ohne davon getrunken zu haben.



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