Blindes Blut by Fritsch Heike Maria

Blindes Blut by Fritsch Heike Maria

Autor:Fritsch, Heike Maria [Fritsch, Heike Maria]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi/Thriller
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2014-04-28T22:00:00+00:00


Wie sollte sie bloß ihren Vater finden? Nach einem Tag in San Sebastian war Waltraut der Verzweiflung nahe. Was für eine Schnapsidee. Sie wusste aus dem Artikel zwar Namen und Vornamen des Vaters, wusste, dass er Arzt gewesen war und aus dem Baskenland stammte. Was sollte sie aber damit anfangen in einem Land, in dem sie nicht einmal die Sprache verstand? Das war ihr schon an der Rezeption schmerzlich bewusst geworden. Stur hatte sie sich der Nötigung der Reiseleiterin, Zusatzangebote zu buchen, entzogen, bis diese, wutentbrannt auf spanisch schimpfend, ihre Visa über den Rezeptionstisch fliegen ließ. Entsprechend reserviert war auch der Angestellte des Hotels und tat ihr gegenüber so, als verstünde er keinen Brocken Deutsch, obwohl er anderen Reisenden durchaus auf Deutsch antwortete. Einzig Huckies schiefes Grinsen aus dem Dunkel der Hotelhalle bewahrte sie vor zu viel Zaghaftigkeit.

Er zeigte ihr noch den Speisesaal und erklärte einem herbeieilenden Kellner, dass diese drei noch ein kleines Frühstück bräuchten, verabschiedete sich dann aber. »Wenn ich euch zu offensichtlich helfe, gibt das böses Blut bei den anderen Reisenden.«

So wuchteten die Kinder und sie ihr Gepäck in den dritten Stock und stellten fest, dass sie entgegen der Drohung der Reiseleiterin ein schönes großes Zimmer mit großem Doppelbett, kleinem Beistellbett und Balkon zum Meer beziehen konnten. Die Begeisterung der Kinder und ihre Erleichterung darüber, dass sie sogar ein eigenes Badezimmer hatten und nicht mehr nachts über einen schlecht beleuchteten Flur schleichen mussten wie in der Bahnhofsmission, ließen ihre Stimmung schnell wieder steigen.

Nach einer kurzen Pause auf dem Bett überredete sie die Kinder zu einem Fußmarsch nach San Sebastian. Der Morgen war noch frisch und die Luft duftete nach Meer. Sie wanderten bis zum Fischereihafen im Zentrum. Die Fischer kippten ihren Fang in große Kisten. Boris stand wie angewurzelt, den Arm um seine kleine Schwester gelegt. Waltraut sah sich um. Im Halbkreis standen um die Hafenbucht große, reich verzierte Häuser mit filigranen Balkonen. Am Ende der Bucht erhob sich eine Festung. Ein älterer Spanier beobachtete sie und drehte sich weg, als sie seinen Blick auffing. Jäh fühlte sich Waltraut schutzlos und lotste die Kinder in die Gassen der Altstadt, wo aus fast jedem dritten Haus köstliche Essendüfte wehten und in den Gaststätten Schinken an der Decke hingen. Miri machte sie auf kleine Schirmchen aufmerksam, die in das untere Ende der Schinken gesteckt waren. Boris klagte: »Ich hab Hunger.«

Waltraut nahm die Preise der Gastwirtschaft in Augenschein und beschloss, Geld für ein ordentliches Essen auszugeben. Huckie hatte ihr ein paar Peseten zugesteckt, als Dank dafür, dass sie auf der Fahrt Kaffee und Würstchen für die anderen Passagiere gekocht hatte. Sie setzte sich mit den Kindern an einen Tisch nahe der Tür. Ein Mann mit weißer Schürze trat zu ihnen und sprach sie auf Spanisch an. Waltraut blieb eine Antwort im Halse stecken. Boris half ihr aus der Verlegenheit und antwortete: »Hola.« Er wies mit drei Fingern auf seinen Mund. »Mangare.« Der Wirt schmunzelte, nickte und brachte ihnen einen Zettel mit handschriftlich aufgeführten Gerichten. Waltraut tippte auf das billigste Tagesgericht und signalisierte mit den Fingern, dass sie drei Portionen wollte.



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