Arzt in den Höllen: Erinnerungen an vier Konzentrationslager by Fritz Lettow

Arzt in den Höllen: Erinnerungen an vier Konzentrationslager by Fritz Lettow

Autor:Fritz Lettow [Lettow, Fritz]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erfahrungen.Shoa
Herausgeber: Das Neue Berlin
veröffentlicht: 2013-12-02T23:00:00+00:00


Natzweiler

Mit uns vierhundert Buchenwaldern zu je fünfzig in einem Viehwagen zusammengepresst, ratterte der Zug im März 1942 durch halb Deutschland bis in das Elsass. Wohl hatten wir Verpflegung, Brot, Margarine, etwas Wurst für einige Tage mitbekommen, warmes Essen aber gab es nicht. Die Kälte im Waggon war schneidend, und durch alle Ritzen zog es. Mit übereinander gestreckten Beinen hockten und lagen wir dort eng zusammen. Einer hatte ein kleines Loch in die Wand gebohrt, um Ausschau zu halten. Seine Notdurft zu erledigen, war grotesk. Der Kot wurde auf ein Stück Papier gelegt, mit Papier überdeckt, mit den Händen platt gedrückt und dann durch eine breite Ritz des Waggons hinausgeschoben. Es ging nicht anders, und wir nahmen es mit Humor.

Als der Zug in Rothau im Elsass ankam, wurden wir in große Autos verfrachtet und wiederum eng aneinandergepresst den langen Weg den Berg hinaufgefahren. Die Gegend war schön, auf den Berggipfeln lag noch etwas Schnee.

Struthof hieß der Fleck, auf dem wir entladen wurden. Es war ein fünfzig mal fünfzig Meter großer Pferch, von Stacheldraht umgeben, an der einen Seite eine Küche. Aufgeweicht und morastig der Boden, und als wir uns erstaunt umsahen, sahen wir nur einige kleine Holzbaracken, die anscheinend der SS gehörten. Vom Lager konnten wir zuerst gar nichts entdecken. Wir sahen uns um und suchten. »Großer Gott«, sagte plötzlich Fritz Pröll, »da oben am Berg klebt es!«

Und wirklich, hoch oben am Berg waren fünf oder sechs Baracken aufgebaut, zum Teil nicht gestrichen. Es sah wie eine Ansammlung von Berghütten aus, nicht wie ein Lager. Es überlief uns ein Grauen. Hier sollten wir bleiben. Jene in Buchenwald hatten doch wohl recht gehabt, die schreckliche Dinge von diesem Berglager gewusst haben wollten.

Wir formierten uns und setzten uns in Marsch. Waren ja vierhundert kräftige Kerle, nur ein schwächlicher war unterwegs zusammengeklappt. Den Berg zogen wir hinauf und ins Lager hinein. Da stand schon eine Meute neugieriger »Alter«, es waren viele Banditengesichter darunter. Der Lagerälteste, ein vollgefressener, dicker Schlauch mit verkniffenen Gaunerzügen, schwarzer Winkel, asozial, nahm uns in Empfang. Dann wurden wir auf die drei Blöcke verteilt. In einem Block war Schröder der Blockälteste, ein langer, strammer Kerl, Krimineller, Zuhältertyp. Er machte nicht viel Federlesen mit uns »Neuen«.

»So, lasst mal eure Klamotten sehen!« sagte er und visitierte das kleine Gepäck eines jeden. Was ihm gefiel, nahm er sich heraus, Seife, Schuhe, Kleinigkeiten. In ohnmächtiger Wut schauten wir Neuen zu. So etwas war uns in Buchenwald nicht begegnet. Aber das Gesetz des Lagers und die Vernunft verboten hier die Auflehnung. Gefährlich aussehende Bullen standen dem Blockältesten als Stubendienst zur Seite. Das war so der Typ der Berliner Ringvereinsleute, die sich hier ihr Stelldichein gaben, ein Gesicht immer brutaler als das andere. Zum Glück waren noch einige Politische dabei, gute Kerle, Bekannte sogar aus der Strafhaft. Der Kontakt war sofort da.

Im Schlafsaal gab es keine Betten, die Strohsäcke lagen auf der Erde, drei und vier Mann auf zwei Säcken – nun, was machte uns das aus! Man schlief eben im Zwischenraum zwischen den Strohsäcken. Und wurde



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