Am Rand by Hans Platzgumer

Am Rand by Hans Platzgumer

Autor:Hans Platzgumer [Platzgumer, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783552057890
Herausgeber: Paul Zsolnay Verlag Wien 2016
veröffentlicht: 2016-02-09T00:00:00+00:00


Im Sommer 1998 erreichte mich sein Anruf, seit Monaten hatten wir keinen Kontakt gehabt. Ich war allein zu Hause. Plötzlich Guidos Stimme an meinem Ohr. Ich erkannte sie erst gar nicht, so fern und schwach klang sie, mechanisch, leise, wie eine Maschine, der man das Sprechen beigebracht hatte. Beinahe hätte ich aufgelegt, weil ich dachte, jemand erlaubte sich einen Scherz. Ein kraftlos gesäuseltes: Gerold. Doch ich spürte, dass es der gequälten Stimme ernst war. Intuitiv setzte ich mich, was ich normalerweise beim Telefonieren nie tat, auf den Stuhl, der neben dem Wandtelefon stand. Zögerlich fragte ich: Guido? Bist du das?

– Gerold.

Mehr nicht. Wie ein im Sterben liegender Clownroboter, der nichts anderes sagen konnte als meinen Namen. Fast musste ich lachen, obgleich ich fühlte, welch Mühe Guido das Sprechen machte. Allein die zwei Silben meines Namens waren ihm eine Anstrengung.

– Was ist passiert, Guido? Was ist mit dir?, fragte ich.

Glucksende Geräusche folgten. Als wäre die Leitung gestört.

– Ich hatte einen Unfall.

Zerschnittene Wörter. Von unregelmäßigen Pausen durchzogen. Pausen, die mehr als das Gesprochene sagten.

– Wo bist du?, fragte ich.

Nun, da ich mir sicher war, dass es Guido und sein bitterer Ernst war, versuchte ich, ihm das Sprechen abzunehmen.

– Zu Hause, sagte er.

Mit dem Fahrrad dauerte es keine zehn Minuten, bis ich vor der Eingangstür des violett-grauen Wohnblocks stand und bei Guido klingelte. Mit großer Verzögerung surrte der Türöffner. Ich eilte die Treppe zum zweiten Stockwerk hinauf. Eine Schattenversion von Guido deutete mir einzutreten. Zwei Röhren, mehrere Schläuche und Verbände waren an seinem Hals befestigt, darüber ein eingefallenes Gesicht, kaum wiederzuerkennen.

Guidos Einzimmerwohnung war winzig, eine Betonschachtel, die Hunderten anderen in dieser Vorstadtsiedlung glich. Über den verdunkelten Balkon drang kaum Tageslicht ins Zimmer. Guidos überdimensionierter Fernsehapparat flimmerte vor sich hin, die flackernden Bilder einer Eishockeyübertragung spiegelten sich im gläsernen Couchtisch. Ich drehte den Ton ab und setzte mich zu Guido auf das abgewetzte Sofa. Es dauerte lang, bis er, was er mir erzählen wollte, durch die Sprechkanüle an seinem Hals in verständliche Laute formte. Vor jedem Satz musste Guido an dem Röhrchen drücken, das aus seinem Kehlkopf ragte, als müsse er die Kraft erst in sich hineinpumpen, die jedes Wort ihm abverlangte. Zwischendurch bog er den Kopf zur Seite, um Speichel in einen Plastikbehälter ausfließen zu lassen.

– Auf der Baustelle. In Dornbirn. Vor fünf Wochen, sagte er.

Sein Verschnaufen kam mir lauter vor als die eigentlichen Worte. Durch die Kanüle klang seine Stimme, als käme sie aus einem anderen Raum oder aus dem Radio. Es fiel mir schwer, sie mit Guido in Verbindung zu bringen. Ob ich ihm irgendwie helfen könne, fragte ich. Steif schüttelte er den Kopf.

– Es war heiß, sagte er. Ich hatte Durst.

Allmählich verstand ich, was geschehen sein musste. Lang genug hatte ich selbst auf Baustellen gearbeitet.

– Grüne Flasche. Römerquelle-Etikett.

– Vielleicht ist es einfacher, wenn du es mir aufschreibst, sagte ich.

Guido aber wollte nicht schreiben. Vielleicht betrachtete er das mühevolle Sprechen als Herausforderung, jetzt, da sportliche Betätigungen nicht mehr möglich waren.

– Weiß nicht, wer sie dort abgestellt hat. Dachte nichts. Nahm einen großen Schluck.



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