Als Hitler das rosa Kaninchen stahl by Judith Kerr

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl by Judith Kerr

Autor:Judith Kerr [Kerr, Judith]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kinder, 3. Reich, Self-Edit, Jugendroman
ISBN: 9783473580033
Google: ANnJSgAACAAJ
Herausgeber: Ravensburger Buchverlag
veröffentlicht: 1971-01-01T23:00:00+00:00


13

Als Anna am Morgen aufwachte, war es heller Tag.

Durch einen Spalt in den gelben Vorhängen konnte sie ein Stück windigen Himmel über den Dächern sehen. Es roch nach Küche, und man hörte ein klickendes Geräusch, das sie zuerst nicht erkannte, aber dann merkte sie, daß Papa im Nebenzimmer tippte.

Maxens Bett war leer. Sie stand auf und lief in die Diele, ohne sich erst anzuziehen. Mama und Grete mußten fleißig gewesen sein, denn alles Gepäck war verstaut, und durch die offene Tür konnte sie sehen, daß Mamas Bett wieder in ein Sofa verwandelt worden war. Dann erschien Mama selber aus dem Eßzimmer. »Da bist du ja, mein Liebes«, sagte sie.

»Komm und iß etwas zum Frühstück, obgleich es schon beinahe Mittagszeit ist.«

Max saß schon am Eßzimmertisch, trank Milchkaffee und brach Stücke von einem langen und unglaublich schmalen Brot.

»Es wird ›baguette‹ genannt«, erklärte Mama, »das bedeutet Stock.« Und so sah es auch aus.

Anna versuchte ein Stück und fand es köstlich.

Auch der Kaffee war gut. Auf dem Tisch lag ein rotes Wachstuch, auf dem das Geschirr sehr hübsch aussah, und im Zimmer war es trotz des windigen Novemberwetters, das draußen herrschte, warm.

»Es ist schön hier«, sagte Anna, »im Gasthof Zwirn hätten wir nicht im Schlafanzug frühstücken können.«

»Es ist ein bißchen eng«, sagte Mama, »aber wir werden uns einrichten.«

Max streckte sich und gähnte. »Es ist schön, wieder eine eigene Wohnung zu haben.«

Es gab noch etwas Schönes. Anna wußte zuerst nicht, was es war. Sie betrachtete Mama, wie sie Kaffee eingoß und Max, der seinen Stuhl nach hinten kippte, was man ihm schon tausendmal verboten hatte. Dann fiel es ihr ein.

»Es ist mir wirklich ganz gleich, wo wir sind«, sagte sie, - »solange wir nur alle zusammen sind.«

Am Nachmittag ging Papa mit ihnen aus. Sie fuhren mit der Untergrundbahn, die hier Metro genannt wurde und eigenartig roch. Papa sagte, es sei ein Gemisch aus Knoblauch und französischen Zigaretten, und Anna gefiel der Geruch. Sie besichtigten den Eiffelturm (stiegen aber nicht hinauf, weil das zuviel gekostet hätte) und die Stelle, wo Napoleon begraben war und zuletzt den Triumphbogen, der ganz nahe an ihrem Haus lag. Es wurde schon spät, aber Max entdeckte, daß man auch hier hinaufsteigen konnte, und daß es ganz billig war, wahrscheinlich weil es nicht so hoch war wie der Eiffelturm - sie stiegen also hinauf. Niemand sonst wollte an diesem kalten dunklen Nachmittag den Arc de Triomphe besteigen.

Als Anna auf das Dach hinaustrat, trieb ihr ein eisiger Windstoß Regentropfen ins Gesicht, und sie war nicht sicher, ob es ein guter Einfall gewesen war, hierher zu kommen. Dann blickte sie nach unten. Es war, als stände sie im Mittelpunkt eines riesigen funkelnden Sterns. Seine Strahlen gingen in alle Richtungen, und jeder Strahl war eine von Lichtern gesäumte Straße.

Als sie genauer hinsah, konnte sie andere Lichter erkennen, welche von Autos und Bussen kamen, die die Straßen entlangkrochen und unmittelbar unter ihnen einen strahlenden Ring um den Arc de Triomphe selbst bildeten. In der Entfernung erkannte sie die undeutlichen Umrisse von Kuppeln und Türmen und einen blinkenden Punkt, der die Spitze des Eiffelturms war.



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