Zwischen zwei Meeren - Roman by Carmine Abate

Zwischen zwei Meeren - Roman by Carmine Abate

Autor:Carmine Abate [Abate, Carmine]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2014-11-22T23:00:00+00:00


Als ich nach Hamburg zurückkehrte, fühlte ich mich wie ein Tourist, der sich bereits auf der Rückreise seiner peinlichsten Mitbringsel entledigt. Klar, Martina fehlte mir irgendwie, aber ich litt nicht, empfand keinerlei Liebeskummer, keine unstillbare Sehnsucht nach ihr oder Roccalba oder den Großeltern. Warum auch?

In kürzester Zeit hatte ich mein gewohntes Leben von vor Weihnachten wieder aufgenommen: Schule, Zuhause, Disko und selbst Anja, als hätten die Ferien in Roccalba überhaupt keine Spuren hinterlassen. Die detailreichen und wiederholten Berichte, die meine Mutter und Marco meinem Vater lieferten, ließen mich kalt. Und ihn auch, der immerhin vorgab, zuzuhören – auf seiner Stirn ein wogendes Meer feiner Schweißperlen –, während er in Wirklichkeit vollauf mit dem beschäftigt war, was er die Chance seines Lebens nannte. Eine renommierte amerikanische Zeitschrift hatte ihn mit einem langen Artikel über die neuesten zinsgünstigen Kredite in den wichtigsten europäischen Ländern betraut. Er hatte unsere Rückkehr kaum registriert, was ihm meine Mutter in ihrer romantischen und vielleicht verliebten Art sehr zu verübeln schien. Außerdem sah das Haus wie ein Saustall aus, meinte sie, vor allem die Küche, wo kein einziger Teller, kein Glas oder Löffel mehr sauber war, nicht einmal ein Messer, mit dem sie ihren Mann einen Kopf kürzer hätte machen können. Das Arbeitszimmer war nur mit Hilfe einer Planierraupe zu betreten – doch das ging allein ihn etwas an –, während das Schlafzimmer nicht ein Mal gelüftet worden war, seine Geruchsnerven und Lungen hatten sich längst an die Gaskammer gewöhnt, in der ein einziges Streichholz genügt hätte, um alles in die Luft zu jagen. Doch als ruhender Pol der Familie erwiderte er die wutentbrannten Anwürfe meiner Mutter mit seinem kleinen Lächeln, um ihr anzudeuten, dass er nicht viel Zeit hatte. Punkt.

Eines Abends nutzte ich seine akute, anhaltende Zerstreutheit und bat ihn um die Autoschlüssel. Ich besaß seit etwa einem Monat den Führerschein, doch den Volvo hatte er mich erst ein Mal und nur in seinem Beisein fahren lassen. Den Blick fest auf den blau schimmernden Monitor geheftet, warf er mir die Schlüssel zu. Ich bedankte mich und verließ das Haus, ohne meiner überängstlichen Mutter Bescheid zu sagen; sie hätte mich bestimmt zurückgehalten, weil es draußen schneite, spät war und ich beim Abendessen zudem zwei Bier getrunken hatte.

Der lange Volvo glitt sanft durch die weißen Straßen und folgte oft seinem eigenen Willen, scherte aus oder rutschte über die Schneedecke, so dass ich zusammenzuckte. Altona, Reeperbahn, dann der Hafen, die Elbe, große weiße Parkanlagen, über allem der warme Glanz der Lichter und durchsichtige Schneeflocken, die mit akrobatischen Pirouetten auf die Bühne schwebten und unverzüglich von Autoscheinwerfern verschlungen wurden. Hamburg im Schnee war still und geheimnisvoll. Ich bewunderte seine bunten Reklamen, und manchmal zwinkerte mir die eine oder andere zu, indem sie sich an- oder abschaltete.

Ich erreichte Dammtor: Auf der zugefrorenen Alster liefen Dutzende Menschen Schlittschuh, ungeachtet des Schneetreibens und der späten Stunde. Ich stellte den Wagen ab und überquerte zu Fuß den Fluss, nahm immer wieder Anlauf, um ein paar Meter zu schlittern. Vor einigen Tagen war ich mit



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