Zivilisierte Verachtung: Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit (edition suhrkamp) by Carlo Strenger

Zivilisierte Verachtung: Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit (edition suhrkamp) by Carlo Strenger

Autor:Carlo Strenger [Strenger, Carlo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Politik & Geschichte, Gesellschaft, Diskriminierung
ISBN: 3518074415
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-03-20T23:00:00+00:00


Wenn Ressentiment zur Tugend wird

Sowohl die Rechte als auch die Linke haben es sich zum Prinzip gemacht, Eliten zu misstrauen. Spezialisten in relevanten Gebieten, sei es Ökonomie, Biologie, Medizin oder Terrorforschung, werden oft als nicht repräsentativ für den Volkswillen und als Vertreter einer distanzierten Elite wahrgenommen, die ihre eigenen Interessen verteidigt. Natürlich kann niemand ausschließen, dass das bisweilen der Fall ist; als pauschale Aussage über Wissenschaftler ist dieser Vorwurf allerdings unverantwortlich. Wo es nicht um wirtschaftliche oder politische, sondern um meritokratische Eliten geht, die ihren Status durch Leistung erworben haben, ist der Elitismus-Vorwurf meist eine Frage des Ressentiments. Dieses mag menschlich verständlich sein, ist deswegen aber noch lange nicht akzeptabel. Jeder von uns kennt das unangenehme Gefühl, wenn man bei Diskussionen zu bestimmten Themen nicht als gleichwertiger Partner behandelt wird. Ich kann mich zum Beispiel gut erinnern, wie es mir ging, als ich 2003 im Vorfeld der israelischen Parlamentswahlen im Strategieteam der Arbeiterpartei mitwirkte: Wenn es um mein Spezialgebiet ging, hatte meine Meinung Gewicht. Standen jedoch wichtige strategische Entscheidungen an, durfte ich nicht mitreden. Ich war oft zornig, empfand das als Missachtung meiner Positionen; insgeheim war mir aber klar, dass es dafür gute Gründe gab. Das Team bestand hauptsächlich aus Politikern, Meinungsforschern und PR-Leuten, die schon viele solche Kampagnen hinter sich hatten, ich hingegen war ein kompletter Neuling. Es fiel mir nicht immer leicht, mit meinem eigenen Ressentiment fertig zu werden, aber ich versuchte zumindest, es in Schach zu halten. Vor allem durfte ich nicht zulassen, dass meine professionellen Ansichten durch Gefühle wie Neid verzerrt wurden.

Das Ziel der politischen Korrektheit bestand unter anderem darin, dafür zu sorgen, dass niemand Neid oder Schmerz empfinden muss, weil andere Menschen ihr oder ihm in irgendeiner Hinsicht überlegen sind. So nobel die dahinter stehenden Absichten auch sind, so problematisch sind die Folgen. Oft klingt es wie ein Witz, wenn man über eine klein gewachsene Person sagt, sie sei »vertically challenged«, oder wenn ein Mann mit Glatze (ein Thema, zu dem der Autor dieses Essays eine ganz eigene Beziehung hat) als »hair-challenged« bezeichnet wird. Was in diesen Fällen schlimmstenfalls lächerlich wirkt, kann großen Schaden anrichten, wo Fragen berührt werden, bei denen inhaltliche Kompetenz eine Rolle spielt. Während der Achtundsechziger-Revolte gehörte es zum guten Ton, dass die Studierenden dem Lehrpersonal das Recht absprachen, darüber zu bestimmen, was gelehrt und was gewusst werden sollte. Selbstverständlich hatte es seine Vorteile, dass Hierarchien aufgeweicht und Professoren zu mehr Flexibilität gezwungen wurden. Aber die Tendenz, jede fachliche Autorität infrage zu stellen, kennzeichnet den Lehrbetrieb bis in die Gegenwart: Studien zeigen, dass Professoren zunehmend den Druck verspüren, Studenten gute Noten geben zu müssen, weil diese positive Zensuren als ihr gutes Recht verstehen, nicht als Auszeichnung, die man sich verdienen muss.1 Gleichzeitig haben Lehrende in vielen Fächern den Eindruck, es werde immer heikler, Studenten zu kritisieren oder ihnen Leistung abzuverlangen. Auch das hat zum Teil mit der politischen Korrektheit zu tun: Statistisch betrachtet, ist intellektuelle Begabung (wie die meisten Persönlichkeitseigenschaften) normalverteilt. Im Klartext bedeutet das eben, dass nicht alle Studenten gleich talentiert sind.



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