Zipper und sein Vater by Joseph Roth
Autor:Joseph Roth [Roth, Joseph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fiction, General, $SUBJECT
ISBN: 9781862077423
Google: qKFKAgAAQBAJ
Barnesnoble:
Goodreads: 819552
Herausgeber: BookRix
veröffentlicht: 1927-12-31T23:00:00+00:00
XII
Die Stammgäste begrüßten ihn so herzlich, nicht etwa, weil sie sich über seine Wiederkunft aufrichtig freuten, sondern weil seine Heimkehr ein Ereignis war. Ihr Leben war arm an Ereignissen. Die Stammgäste saßen im Kaffeehaus wie Belagerte in einer Festung. Nichts aus der Welt gelangte zu ihnen, keiner von ihnen erreichte die Welt. Sie hätten sich ebenso gefreut, wenn sie in diesem Augenblick nicht Arnold wiedergesehen, sondern wenn sie etwa erfahren hätten, daß er Selbstmord begangen habe. Sie mochten ahnen, daß etwas Wichtiges, etwas Geheimnisvolles in sein Leben getreten sei. Denn sie hatten es noch niemals gesehen, daß jemand aus einem gleichgültigen Grund länger als eine Woche aus dem Kaffeehaus weggeblieben wäre.
Es war wirklich eine wichtige Veränderung mit Arnold vorgegangen: er hatte Fräulein Erna Wilder getroffen.
Natürlich erzählte er das nicht bei Licht. Arnold Zipper sprach von ihr – und überhaupt, wenn er ein Geständnis abzulegen hatte – nur in der Nacht, wenn wir nach Hause gingen. Er erzählte nicht die ganze Wahrheit. Er sagte nur, nachdem wir eine halbe Stunde schweigsam nebeneinander gegangen waren, und während ich fühlte, wie er nach einem passenden Anfang suchte – er sagte nur:
»Ich habe Erna Wilder getroffen.«
Getroffen war ein falsches Wort. Arnold hatte sie aufgesucht, wie ich später erfahren sollte. Da sie die Wohnung ihrer Eltern vor einem Jahr verlassen hatte, mußte sich Arnold in der Schauspielschule erkundigen. Man gab ihm nicht ihre Adresse. Er wartete also vor der Schule, wie ein verliebter junger Mann es tut. Er sah sie herauskommen. Er ging ihr nach, bis sie ihr Haustor erreicht hatte und von ihrer Begleitung Abschied nahm. Bevor sie die Treppe hinaufstieg, grüßte Zipper und fragte, wie es ihr gehe.
Das alles erfuhr ich aber erst später. Vorläufig begnügte sich Arnold mit der Mitteilung, daß Erna ein »netter, sympathischer Mensch« geworden sei. Sie hätte sich stark verändert seit dem Sommer im schlesischen Kurort. Das sei schließlich kein Wunder.
Auf solche allgemeine Mitteilungen beschränkte sich Arnold.
Ich fragte ihn nur, ob er jetzt wieder ins Amt gehe. Er sagte, daß er seit drei Tagen wieder arbeite, daß er aber noch keineswegs entschlossen sei, dort zu bleiben, Staatsbeamter zu sein und auf »die Welt« zu verzichten.
Immerhin schien es mir, daß Arnold, ob er im Amt blieb oder nicht, verliebt sei. Das heißt: daß er sich in einem Zustande befinde, den man seit Jahr und Tag Verliebtheit nennt.
Er war es zum ersten Male in seinem Leben. Ich wunderte mich darüber, weil er keine Veranlagung hatte, sich zu verlieben. Er brachte sozusagen in die Liebe nicht die geringste Voraussetzung mit. Wenn sein Verstand nicht besonders scharf und auf der Hut war, so war sein Temperament doch nicht stark genug, ihn zu betäuben. Wenn Arnold auch sentimental von Natur war, so besaß er doch Geschmack genug, die Sentimentalität zu bekämpfen. Wenn er auch empfindlich und imstande war, einem fremden Einfluß, einem Reiz, einer Stimmung zu unterliegen, so war er doch den Frauen im allgemeinen gegenüber zu gleichgültig, als daß es möglich gewesen wäre, daß er einer verfiele. Ich hatte schon längst beobachtet, daß
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