Zinkjungen by Swetlana Alexijewitsch

Zinkjungen by Swetlana Alexijewitsch

Autor:Swetlana Alexijewitsch
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2013-12-31T16:00:00+00:00


Ein Panzerfahrer

Irgendwas stimmt mit meinem Gedächtnis nicht. Ich habe schon überlegt, das zweite Studienjahr abzubrechen. Die Gesichter verschwimmen, Worte … die eigenen Wahrnehmungen … Was bleibt, sind nur Bruchstücke, Splitter … als hätte das alles nicht ich erlebt …

Was ich aus dem Fahneneid noch behalten habe: »… Ich bin immer bereit, mich auf Befehl der Sowjetregierung für die Verteidigung meiner Heimat, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, einzusetzen, und als Angehöriger der Streitkräfte der UdSSR schwöre ich, sie mutig, mit all meinem Können, mit Würde und Ehrgefühl zu verteidigen, ohne mein Blut und sogar mein Leben für die Erringung des vollen Sieges über die Feinde zu schonen …«

Aus den ersten Tagen in Afghanistan:

Ich kam mir wie im Paradies vor. Ich sah Apfelsinen an den Bäumen wachsen. Dass Minen an Bäume gehängt werden wie Apfelsinen (streift eine Antenne den Zweig, detoniert sie), hab ich erst später erfahren. Wenn sich der »Afghane«, ein Wirbelsturm, erhebt, sieht man die ausgestreckte Hand nicht vor Augen, dann ist man wie blind. Wird dann der Kessel mit der Grütze gebracht, ist er halb voll Sand. Ein paar Stunden später scheint wieder die Sonne, die Berge leuchten … Von Krieg keine Spur … Dann eine MG-Garbe oder ein Schuss aus einem Panzer … das kurze Knacken eines Gewehrs – ein Scharfschütze … Zwei Mann sind hinüber … Wir stehen einen Moment, schießen … ziehen weiter. Sonne … Berge, von Krieg keine Spur. Zwei sind hinüber … Und das Glitzern einer Schlange, die im Sand verschwindet. Schuppiges Glitzern …

Auch wenn um dich herum die Kugeln pfeifen, weißt du noch lange nicht, was Tod bedeutet. Ein Mann liegt im Sand, du rufst zu ihm herüber … Du weißt es noch nicht, aber eine innere Stimme sagt dir schon: Das ist also der Tod … das ist er! Ich wurde am Bein verwundet, nur leicht, so schien es mir. Ich bin verwundet!, stelle ich erstaunt fest, bin aber ganz ruhig. Das Bein tut weh, aber ich will es noch nicht wahrhaben, dass mir das passiert ist. Alles ist so neu, ich möchte noch schießen, möchte als Held zurückkehren … Dann wurde der Stiefelschaft mit dem Messer aufgeschnitten: eine Vene war durchschlagen. Das Bein wurde abgebunden. Es tat weh, aber das konnte ich doch nicht zugeben, das ging gegen meine Ehre als Mann, und so hab ich keinen Mucks gesagt. Wenn man von einem Panzer zum anderen rennt, muss man an die hundert Meter freies Feld überwinden. Da wird geschossen, da zersplittern ganze Steine, aber ich kann doch nicht sagen, nein, ich lauf oder kriech da nicht durch. Ich hätte mich selbst nicht mehr geachtet. So hab ich mich bekreuzigt und bin losgerannt … Und dann war auf einmal Blut im Stiefel, überall Blut … Das Gefecht dauerte noch über eine Stunde. Wir waren um vier Uhr früh ausgerückt, der Kampf war erst um vier Uhr nachmittags zu Ende, und die ganze Zeit über hatten wir nichts zu uns genommen. Meine Hände waren voller Blut, aber es hat mir nichts ausgemacht, ich hab das Weißbrot auch so gegessen.



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