Zeit zu lieben by Haidee Sirtakis

Autor:Haidee Sirtakis [Sirtakis, Haidee]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783956092183
Herausgeber: édition el!es
veröffentlicht: 2017-02-10T23:00:00+00:00

16

Am nächsten Morgen verließ Michi schon früh die Wohnung und hatte wie immer einen randvollen Terminkalender. Mehrere Einvernahmen standen an, und am Nachmittag würde sie noch wegen einer Anklage, die sie zu vertreten hatte, vor Gericht erscheinen müssen. Letzte Nacht hatte sie – auf Theas ausdrücklichen Wunsch hin – auf die Einnahme einer Schlaftablette verzichtet. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum sie mitten in der Nacht mit starken Kopfschmerzen und heftig klopfendem Herzen aufgewacht war. Wie hieß es doch so schön? Keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Dies hatte sich leider auch gleich, nachdem sie das Medikament abgesetzt hatte, bewahrheitet.

Thea wollte den heutigen Tag nutzen und nach einer geeigneten Therapeutin für Michi Ausschau halten. Die Gelegenheit, dass Michi endlich einsichtig geworden war und einem Therapieversuch zugestimmt hatte, wollte sie unbedingt beim Schopfe packen. Hoffentlich würde sie ihrem Schatz schon heute Abend einen ersten Termin mitteilen können, denn sie traute dem momentanen Frieden nicht so recht. Ihre Befürchtung war, dass Michi schnell ihre Meinung ändern und einmal mehr alles verharmlosen könnte. Dieses Risiko konnte und wollte sie nicht eingehen, daher war schnelles Handeln in dieser Situation dringend nötig.

Nachdem sie die Gerichtsverhandlung einigermaßen gut überstandenen hatte, setzte sich Michi völlig erschöpft und mit pochenden Kopfschmerzen ins Auto. Eigentlich hatte sie vorgehabt, nochmals in die Staatsanwaltschaft zurückzufahren, wo noch eine Menge liegengebliebene Arbeit auf sie wartete. Aber sie fühlte sich komplett ausgelaugt und beschloss deshalb, auf direktem Wege nach Hause zu fahren. Noch lange nachdem sie angekommen war, blieb sie wie erschlagen hinter dem Lenkrad sitzen und schaute gedankenversunken auf den Rhein hinunter.

Oje . . . es geht mir dermaßen gegen den Strich, dass ich einem Seelenklempner mein Problem schildern muss, um nach einer Lösung für die jetzige Situation zu suchen. Warum schaffe ich das bloß nicht allein? Sonst habe ich mein Leben doch auch immer prima im Griff.

Plötzlich hielt sie sich erschrocken eine Hand an die Brust. Wie aus dem Nichts hatte sie ein beängstigendes Herzrasen bekommen, und ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig. Einen Augenblick später lief ihr ein eisiger Schauer den Rücken hinunter. Sie lehnte sich im Fahrersitz nach hinten, atmete ein paar Mal tief durch und schloss die Augen.

Als sich ihr Herz endlich wieder etwas beruhigt hatte, änderte sie ihre Meinung und stieg entschlossen aus dem Auto. Ein Spaziergang an der frischen Luft wird mir jetzt bestimmt gut tun . . . Während sie die Straße entlang spazierte und dabei auf den Fluss hinuntersah, gingen ihr tausend Gedanken durch den Kopf. Wie konnte es bloß so weit kommen? Warum musste das alles passieren? Ich bin völlig überfordert und verstehe gar nichts mehr. Sie konnte nicht anders, als innerlich immer wieder den Kopf über sich selbst zu schütteln.

Eine Stunde später setzte sie sich erneut hinters Lenkrad und hatte nun wirklich vor, direkt nach Hause zu Thea zu fahren. In der Nähe vom Bahnhof musste sie ziemlich lange an einer Ampel auf die Weiterfahrt warten. Es herrschte wieder einmal zäher Feierabendverkehr. Tief in Gedanken versunken ließ sie ihren Blick zum Bahnhof hinüberschweifen.

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