Zeit by Alexander Demandt
Autor:Alexander Demandt [Demandt, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage, Berlin
veröffentlicht: 2015-12-09T16:00:00+00:00
25 Isidor von Sevilla, ›De natura rerum‹. Symbolbezüge der Jahreszeiten. Aus Isidori Opera VII 1803, op. 51 (zu VIII r).
Die Jahreszeitenmetapher bleibt lebendig in der patristischen Literatur. Alanus ab Insulis gliederte im 12. Jahrhundert die gesamte Heilsgeschichte gemäß den Jahreszeiten: den Winter ante legem (vor dem mosaischen Gesetz), den Frühling sub lege (unter dem mosaischen Gesetz), den Sommer sub gratia (nach der Inkarnation) und den Herbst sub specie aeternitatis (nach dem Weltgericht). Die Natur wird zur Lehrmeisterin in Glaubensdingen. Naturzeit symbolisiert Heilszeit.
Heilsgeschichtlichen Tiefsinn erkennt als Theologe auch Isidor (De natura rerum VII) in den Jahreszeiten. Der Winter verkörpert die tempestates, die Wirrnis der weltlichen Nöte, die turbines saeculi. Der Frühling steht für die Neuheit des Evangeliums und den Frieden, die tranquillitas ecclesiae. Der Sommer, hier dem Frühling vorgeschaltet, trocknet den wahren Glauben aus und führt zur Verfolgung der Gläubigen. Der Herbst bleibt theologisch unbestimmt.
t. So wie die Antike es tat, stellen wir den Frühling an den Anfang der Jahreszeiten, obschon er heute so wenig wie damals den Anfang des Jahres bildet. Wir reihen: »Frühling, Sommer, Herbst und Winter«. Das ergibt einen vierfüßigen Trochäus im Sprachrhythmus wie altbekannte Liedanfänge: »Gott des Himmels und der Erden« oder »An der Saale hellem Strande«. Die Spitzenstellung des Frühlings zeigt schon die Wortbildung, er ist die Morgenfrühe oder die Jugend des Jahres, das Frühjahr. Die Verständlichkeit des Wortes weist auf eine vergleichsweise junge Bildung, es entstand im 15. Jahrhundert. Der Verweis auf die Lutherbibel täuscht. Bei der Teilung der Schafherde Isaaks (1. Mose 30,37) betrügt Jakob seinen Bruder Laban durch eine magische Praktik, bei der ihm die früh geborenen, kräftigen Jungtiere, Laban aber die spät geborenen schwachen Lämmer zufallen. Dies sind die »Spätlinge«, jene die »Frühlinge«, gebildet wie »Frischling« bei den Wildschweinen oder »Erstlinge« bei den zum Opfer bestimmten Feldfrüchten. Bei Voß entdeckt Odysseus (IX 221) in der Höhle Polyphems unter den »Lämmern und Zicklein« die »Frühlinge« und die »zarten Spätlinge« in gesonderten Ställen. Das von Luther verwendete Wort »Lenz« ist schon althochdeutsch belegt und erinnert mit lengizin manoth an »länger« werdende Tage. »Lenz« im Sinne von »Jahr« gibt es nicht nur in Schillers ›Melancholie an Laura‹, wo es von »schwimmenden Planeten« heißt: »Unter ihrem Cirkel flohn/Tausend bunte Lenze schon.« Auf die Stellung am Jahresanfang bezieht sich französisch printemps, aus Spätlatein primum tempus, denn tempora anni sind die Jahreszeiten. Der Frühling als die Zeit des »Säens« führt über sero, sevi, satum zu satio und »Saison«, der Frühling als die rechte Jahreszeit, englisch season.
u. Das Wort »Sommer«, ebenfalls althochdeutsch bezeugt, wird mit lateinisch semi – »halb« verbunden und bezeichnet das »halbe« Jahr. Mithin wurde das Jahr vor seiner Viertelung einmal geteilt in die zwei Hauptjahreszeiten Sommer und Winter, so wie bei den Juden und den Römern. »Sechzig Sommer und Winter, sumaro enti wintro«, also sechzig Jahre, »wallte ich außer Landes« sagt der alte Hildebrand (v. 50) zu seinem Sohn Hadubrand. Der Winter ist die »weiße Jahreszeit«. Schon in den Herbst fällt der Altweibersommer. Er gehört zu den meteorologischen »Singularitäten«, die der normalen jahreszeitlichen Großwetterlage ein Schnippchen schlagen.
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