Zarte Blume Hoffnung - Liebesbriefe aus einer geteilten Stadt by Bastei Lübbe
Autor:Bastei Lübbe [Lübbe, Bastei]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: BASTEI LÜBBE
veröffentlicht: 2014-09-17T22:00:00+00:00
MEIN TAGEBUCH
In meinem nächsten Brief hab ich sie gefragt: »Dieses Unbewusste, oder lass mich sagen: Unterbewusste, dieses Erlebnis, diese Eingebung, bringt Dich dazu, von nun an surrealistisch zu malen?«
»Nein, nicht surrealistisch«, kam ihre Antwort, »sondern surreal. Motive des Surrealen gibt es im Berlin dieser Tage unermesslich viele: Wolfgang Lönstorf vor einem Grab, das Rote Rathaus hinter einem weiten Platz, Goya-Gesichter des Schreckens vor Gewehren, der Fuà eines Zermalmten unter Panzerketten.« Worauf ich ihr dann schrieb: »Ich kann es nicht erwarten, Deine Arbeiten zu sehen.«
VERAS TAGEBUCH
Als ich das las, habe ich laut geschrien: Dann komm â endlich doch â nach Haus! Geschrieben aber habe ich ihm, nach Besinnung, etwas gänzlich anderes.
VERAS BRIEF
Meine Arbeiten willst Du sehen? Das Gleiche hat mein Professor auch gesagt. Er ist ein Maler, der auch in anderen Ländern etwas gilt. Deshalb habe ich meine Mappe zu ihm hingetragen. Zu meiner Freude hat er mich gelobt. Dann hat er mich verraten. Bei der »Kultur« der SED. Ich wurde hinbestellt. Wer mich zum Surrealismus verführt habe, wollten sie von mir wissen. Ich habe dazu geschwiegen. »Menschenskind, Genossin«, haben sie gesagt, »denk doch an deinen Vater.« Dann haben sie eine Verwarnung ausgesprochen. In den nächsten Tagen, sagten sie, bekomme ich die Verwarnung schwarz auf weiÃ.
MEIN BRIEF
Luftpost-Eilboten
Zauberwesen, zieh ein in mein verwaistes Haus. Beim Blick auf den Union Jack an der Tür wenden sich die Schnüffler ab. Ich halt da jede Wette. Und zwischen meinen Wänden sagt Dir kein Tyrann, welcher Pinselstrich auf Deiner Leinwand seinem spieÃbürgerlichen Geschmack entspricht und welcher nicht, von der monumentalen Verlogenheit sowjetischer Kunst wollen wir lieber mal ganz schweigen.
VERAS BRIEF
24. April
In Deinen Wänden soll ich malen? Das ist leicht gesagt, doch schwer getan. Denn: Was soll ich wohl mit meinem wunderbaren, müden, alten Vater machen? Der den Kommunismus seiner frühen deutschen Jahre nicht vergessen kann?
Doch es gibt auch Gutes zu berichten. Lönstorf hat sich für mich eingesetzt und erreicht, dass meine Verwarnung nicht geschrieben wird. Und, als wäre das an guten Taten nicht genug, hat er mich in der Theaterkantine mit einem Galeristen aus Westberlin bekannt gemacht. Seit geraumer Zeit hängen in der Kantine meine Skizzen an den Wänden, Portraits von Brecht, Weigel, Geschonneck, und auch Skizzen zu den Dekorationen vom »Coriolan«. Am Tag darauf hab ich eine Mappe mit meinen Arbeiten zu seiner Galerie am Nollendorfplatz getragen, zur »Nolle«, wie die Berliner sagen. Wie Du Dir denken kannst, war mein Grenzübertritt nur möglich, weil Vater einen Sonderpass hat ausstellen lassen, denn die Kunst unserer DDR, so sagt er, soll auch im Westen betrachtet werden können.
Der Galerist kommt mir ein bisschen schmierig vor, und es ist schwer begreiflich, dass ihm meine Arbeiten gefallen. Dennoch aber, Hannes, halt Dich fest! Meine Bilder werden ausgestellt! AchtunddreiÃig insgesamt! Sei mit mir überglücklich, bitte! Die Vernissage ist am 4. Juni.
MEINE ANTWORT
Eilig
Vera, Liebste, mir bricht das Herz, aber an dem Tag kann ich nicht bei Dir sein. Der 6. Juni ist D-Day, wie Du weiÃt, und die Landung der Alliierten in der Normandie liegt jetzt einundzwanzig Sommer schon zurück. Drei meiner
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