Wunder kommen leise by Paula Roose

Autor:Paula Roose
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-12-09T16:00:00+00:00

14. Tag

Das zeitige Aufstehen begann, eine Angewohnheit zu werden. Ich genoss eine heiße, dampfende Tasse Kaffee und schaute auf meinen ausgebreiteten Stadtplan. Wo waren Kirchen, die für eine Adventslichteraktion infrage kämen? An meinem Ort gab es nur noch eine weitere Kirche, ziemlich weit außerhalb. Im Nachbarort waren noch vier Kirchen mögliche Kandidaten. Also gut. Ich entschied, vorerst in meinem Ort weiterzusuchen. Das Wetter meinte es auch heute gut mit mir, ich griff meinen Mantel und machte mich auf den Weg.

Weihnachtsblasmusik begrüßte mich aus Lautsprechern. Geschäftige Menschen eilten durch die Straßen. Die ersten Verkäufer öffneten ihre Weihnachtsmarktbuden. Ich schaute mich um, ob ich ein bekanntes Gesicht sah, und ging mit bummeligem Schritt durch die Innenstadt. Vor einem großen Kaufhaus blieb ich stehen. Die Schaufenster boten die schönsten Geschenke an. Eigentlich wäre es nicht verkehrt, meiner Schwester ein Geschenk mitzubringen, wenn ich sie in den nächsten Tagen besuchte. Also schloss ich mich der ins Kaufhaus eilenden Menge an. Mein Geldbeutel entsprach eher den preiswerteren Dingen, aber auch dort hatte ich große Auswahl. Vor einem Ständer mit günstigen Ohrringen blieb ich stehen. Auf die Waren konzentriert, wurde meine Aufmerksamkeit auf ein Gespräch hinter meinem Rücken gelenkt. Ich tat, als würde ich weiter Schmuck aussuchen und lauschte der Unterhaltung. Es war eine junge Mutter mit ihrem Kind.

»Mama, ich wünsche mir unbedingt das Raumschiff zu Weihnachten. Alle meine Freunde haben es.«

Die Mutter seufzte. »Ich weiß, mein Schatz. Es tut mir leid. Dieses Jahr kann es Weihnachten nur sehr kleine Geschenke geben.«

»Mama, wünsch dir doch vom Weihnachtsmann ein neues Portemonnaie. Der bringt dir bestimmt eins.«

»Ja, vielleicht tut er das, aber dann ist ja schon Weihnachten. Da kann ich nichts mehr kaufen.«

»Und wenn wir noch mal überall suchen?«

»Ich habe schon überall gesucht, Schatz. Wir haben trotzdem ein schönes Weihnachtsfest, du wirst sehen.«

Ich drehte mich um und sah den enttäuschten Gesichtsausdruck des Kindes, dem Weihnachten ohne Geschenke bevorstand. Und ich sah den Blick der Mutter, den Tränen nahe. Auch meine Augen wurden feucht. Ich drehte mich rasch wieder um, da kam mir der Gedanke, dass ich die Frau schon einmal gesehen hatte. Natürlich! Sie war gestern auch bei der ARGE. Sie war die Frau, die geweint hatte. Jetzt wusste ich den Grund. Sicher hatte sie um Hilfe gebeten, weil sie ihr Portemonnaie verloren hatte. Aber der Weihnachtsmann arbeitet nicht bei der ARGE.

Mir wurde schwer ums Herz. Ich drehte mich wieder zu der Frau um und betrachtete sie genauer. Sie war sehr hübsch, ganz nach meinem Geschmack. Heute hatte sie nur den Jungen bei sich. Seine Nase lief und er hatte die Hand seiner Mutter gefasst. Die Frau bemerkte meinen Blick und zog die Augenbrauen zusammen. Mit einem »Was-wollen-Sie-von-mir-Blick« schaute sie zurück. Ich lächelte und ging auf sie zu.

»Bitte entschuldigen Sie, dass ich sie so anstarre. Waren Sie gestern nicht auch bei der ARGE?«

Sie lächelte zurück. »Ja stimmt, ich habe Sie dort gesehen. Haben Sie etwas erreichen können?«

Ich lachte. »Ja, habe ich. Ich wollte nur einen Termin.«

Sie stimmte in mein Lachen mit ein. Ihre Stimme klang angenehm hell und freundlich.

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