Wovor wir fliehen by Perihan Magden

Wovor wir fliehen by Perihan Magden

Autor:Perihan Magden [Magden, Perihan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-27T16:00:00+00:00


Das Schönheitsgefängnis

»Da ist der dritte Kokosnussmann, Mama!« Ich tauche aus den Wellen auf und renne auf meine Mutter zu.

Meine Mutter sitzt auf ihrem Liegestuhl im Schatten einer Palme und liest ein Buch.

Es ist die Zeit, in der wir im Winter oft nach Thailand fuhren. Wir bleiben ein, zwei Tage in Bangkok, und dann geht es direkt runter an den Ozean, auf die Inseln. Meistens nach Koh Samed. So schnell wie möglich.

Auf dieser Insel gibt es ein paar Strände, die wir mögen. Besonders einen gibt es, einen ganz kleinen. »Unser Geheimstrand«, sagt meine Mutter dazu.

Da, wo der Sand aufhört und die Felsen anfangen, am äußersten Ende des Strandes, gibt es nur zwei Zimmer. Zwei große, sehr geschmackvoll eingerichtete Zimmer. Meine Mutter hat beide zusammen angemietet.

In einem der Zimmer male ich Bilder mit meinen Pastellfarben, damit es nicht so allein ist. Ich lege sie im ganzen Zimmer auf dem Fußboden aus. Manchmal setze ich mich aufs Bett, betrachte sie und schlafe dabei ein. Die Sonne sickert durch die Vorhänge und tanzt über mich hin.

Dann kommt meine Mutter und küsst mich wach. Wir sammeln die Bilder vom Boden auf und kehren mit denen, die uns am besten gefallen, in unser Zimmer zurück.

»In unser richtiges Zimmer«, sagt meine Mutter. »Na los, mein Bambi.«

Als wir in den Garten hinaustreten, der sich vor uns ausbreitet, schlage ich Purzelbäume auf dem Rasen. Ich schlage Rad. Meine Mutter ist begeistert. Sie habe als Kind nie wie ich einen Radschlag nach dem anderen machen können. »Vielleicht hat das Radschlagen etwas damit zu tun, wie glücklich du bist, mein Bambi. Ich habe nicht mal zwei hintereinander geschafft, sondern bin immer sofort umgekippt.«

Unser grüner, weicher Garten ist wie ein Kissen, das unverhofft einfach so auf die Felsen gelegt wurde. Er blickt hinunter auf den Ozean. Das heißt, wir blicken hinunter. Gegen Abend schaukeln wir in unseren Hängematten und betrachten die Wellen, die Felsen und die unendliche Weite des Ozeans. Als die Sonne untergeht, winken wir ihr. Sie verschwindet so langsam und schön.

Nachts geht in unserem unverhofften Garten auf den Felsen der Mond nur für uns auf. Sterne werden hingestreut. »Nach einer geheimen Ordnung«, sagt meine Mutter. »Unser Garten ist der, der dem Himmel am nächsten ist. Wir müssen ihn mit niemandem teilen, er ist einzig und allein unser Aussichtsgarten, mein Bambi. Wenn wir andere würden reden hören, bekäme seine Schönheit einen Kratzer.«

Morgens hüpfen wir die Felsen hinunter und machen es uns im Sand auf unseren Liegestühlen bequem, um dem Meer ganz nah zu sein.

»Hier ist es sehr schön, Mama«, sage ich, während ich auf die Wellen zulaufe. Ich kann dem Ozean und seinen betäubenden Wellen einfach nicht fernbleiben.

Wir haben eine Taucherbrille und Schwimmflossen gekauft in einem der Läden an dem großen Strand gleich neben unserem. Ich schaue auf den Grund und suche Muscheln. Die meisten, die ich heraushole, sind noch voll. Ich werfe sie zurück in den Ozean.

Ständig sammeln wir Kieselsteine, Korallenstücke und Muscheln. Unser Zimmer quillt über davon. Auch das leere Zimmer neben uns füllt sich mit Steinen und Muscheln, die wir gesammelt haben.



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