Wolfsfluch - Die Chroniken des Hagen von Stein ; 3 by Heyne

Wolfsfluch - Die Chroniken des Hagen von Stein ; 3 by Heyne

Autor:Heyne
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2010-04-04T00:00:00+00:00


SECHSTER TEIL:

VERÄNDERUNG

Anno Domini 2007, in dem 27 Regierungsvertreter der EU in Berlin eine gemeinsame Erklärung unterzeichnen, Wilhelm Karl von Preußen, der letzte Enkel Wilhelms II., stirbt und Papst Benedikt XVI. die »Liturgie von 1962« als Sonderform des Römischen Ritus zulässt.

DAS ZWEITE GESICHT

Marie sah durch das Fenster auf den dunklen Garten vor dem Anwesen hinunter - nein, man musste doch wohl eher von einem Park sprechen - und schüttelte lächelnd den Kopf. Noch immer schien ihr die gestrige Nacht unwirklich. Nach dem Essen hatten sie getanzt, und sie, die sie immer geglaubt hatte, zwei linke Füße zu haben, war geschwebt wie auf Wolken.

Daran hatte sich ein langes Gespräch in einer prächtigen Bibliothek angeschlossen, mit viel schwerem Portwein und köstlichen Pralinen. Sie hatten über das Schicksal und Horoskope diskutiert, und auch wenn der Alkohol dafür gesorgt hatte, dass Marie sich jetzt nicht mehr genau an alles erinnerte, wusste sie doch, dass es das anregendste Gespräch gewesen war, das sie seit einer langen Weile geführt hatte. Und es hatte die Kopfschmerzen restlos vertrieben.

Jetzt, nach traumlosen, langen Stunden des Schlafes, war es schon wieder Nacht, als sie in ein luftiges Sommerkleid schlüpfte. Der trübe Himmel draußen rechtfertigte ein solches Outfit nicht, aber in ihrem Herzen schien zum ersten Mal seit Langem wieder die Sonne.

Bist du verliebt?, fragte sie sich kritisch, konnte es sich aber nicht beantworten. Die Aufmerksamkeit des charmanten Hagen von Stein schmeichelte ihr, und seine kleinen, beiläufigen Berührungen und der starke Halt beim Tanzen hatten sie durchaus erregt.

Eine Schwärmerei, beschied sie, denn obwohl sie seine Anwesenheit genoss, war Marie doch recht sicher, dass er nicht »der Richtige« war. Etwas an seiner Art war zu kühl, zu distanziert, zu …

Tot.

Marie erschauderte und schaltete eilig die Lampe neben sich an. Der helle Schein verbannte den Garten und ließ stattdessen ihr Spiegelbild erscheinen. Nach dem Gelage gestern und der durchgemachten Nacht hatte sie tiefe Augenringe erwartet, aber das Gegenteil war der Fall. Sie sah so frisch und ausgeruht aus wie schon lange nicht mehr. Es mochte daran liegen, dass die Scheibe ihr Bild nur unvollständig zurückwarf, aber sogar die zarten ersten Andeutungen von Krähenfüßen und die etwas zu tiefen Lachfalten schienen zurückgegangen. Sie wirkte fünf Jahre jünger und gefiel sich heute richtig gut - auch das ein Novum.

Es klopfte sanft an ihre Tür, und auf ihr »Herein« öffnete sie sich, um Hagen zu offenbaren. Seine Präsenz, seine Aura der Selbstsicherheit und Stärke erfüllten ihre Wahrnehmung, dominierten den Raum. Er trug ein schwarzes Hemd und eine ebensolche Hose, die seine schlanke Gestalt unauffällig betonten.

Wenn man vom Teufel spricht, dachte Marie, und das breite Lächeln, mit dem sie ihn empfangen wollte, erzitterte. Warum erschien ihr dieses Sprichwort mit einem Mal so bedeutungsschwer?

»Störe ich?«, fragte Hagen noch an der Tür. Erst als sie den Kopf schüttelte, kam er herein und deutete erneut einen Handkuss an. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja«, sagte Marie und versuchte sich daran zu erinnern, wann sie endgültig zum »Du« übergegangen waren, aber dieser Teil des Abends war unter Portwein-Schleiern verborgen.

»Sehr gut, danke«, setzte sie hinzu.

»Das freut mich zu hören.



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