Wohin mit mir by Damm Sigrid

Wohin mit mir by Damm Sigrid

Autor:Damm, Sigrid [Damm, Sigrid]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2012-05-15T22:00:00+00:00


23. September

Erwacht mit der Zeile: Eine Tür fällt zu im Wind, und eine Straße läuft vom Himmel übers Meer zur Erde zurück.

Heute die Ausstellungseröffnung. Die schwarze Limousine des Kulturstaatsministers ist längst gesichtet worden, aber von ihm keine Spur. Zu Fuß erscheint Michael Naumann. In dem berühmten Hut-Laden in der Via del Babuino hat er sich einen Borsalino gekauft. Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung eröffnet er die Ausstellung. Achtzehn Auflagen in so kurzer Zeit, sagt er in bezug auf »Christiane und Goethe«, davon könne ein Verleger nur träumen. Danach ein Empfang; die völlig überfüllten Räume der Casa di Goethe. Gedränge. Fragen, Meinungen. Die Goethe-Kenner, die genau wissen, wie es gewesen ist, vorgeblich sich in Goethes Sexualität auszukennen meinen. Meine zuweilen nicht sehr diplomatischen Reaktionen darauf.

Dann noch im kleinen Kreis ein Abendessen. Herr Witte, der Vorsitzende des AsKI, des Trägervereins der Casa di Goethe, lädt die Geldgeber, den Daimler-Chrysler-Konzern, die Jury, den Germanisten Prof. Mario Freschi, den Komponisten Prof. Luca Lombardi und uns drei Stipendiaten ein. Michael Naumann ist mit seiner Gefährtin bereits ins Hotel gefahren.

Neben mir sitzt eine hübsche junge Frau, sie vertritt Daimler-Chrysler und erzählt begeistert von ihrer Kulturarbeit und den Vorteilen des Zusammenschlusses mit dem amerikanischen Partner. Mir gegenüber Luca Lombardi. Um ein Gespräch anzuknüpfen, erzähle ich vom gestrigen Abend, von der Begegnung mit Hans Werner Henze. An der momentanen Veränderung seines Gesichtsausdrucks sehe ich, es war ein Fehler. Ein alter Mann mit Glatze, nichts weiter, sagt er fast wegwerfend. Schweigt. Ich könnte mich auf die Zunge beißen; ich weiß doch von meinen Freunden der komponierenden Zunft von den Animositäten der einzelnen Schulen zueinander; vermutlich gehört Lombardi zu den seriellen Komponisten, die alle anderen als romantische Neutöner abstempeln. Diese Intoleranz. Vielleicht muß sie sein. Oder ist hier ein persönliches Zerwürfnis im Hintergrund? Oder Neid?

Lombardis Miene hellt sich überraschend schnell wieder auf, und ehe ich nach der Schrecksekunde in meinen Überlegungen, wie das Gespräch erneut in Gang zu bringen sei, zu einem Schluß komme, beginnt er von seinen Erfahrungen in der DDR zu erzählen. Er war Meisterschüler von Paul Dessau, war oft in seinem Haus in Zeuthen bei Berlin zu Gast. Ein Freund von mir lebe auf dem Nachbargrundstück, sage ich, und er kennt ihn natürlich, den Komponisten Paul-Heinz Dittrich. Er fragt nach Dessaus Frau Ruth Berghaus, ob sie immer noch die begeisterte Schwimmerin sei. Wir lachen, denn auch ich habe sie – der Garten liegt am vielbefahrenen Wasserarm der Dahme – ins Wasser springen sehen, bei Temperaturen, bei denen niemand sonst mehr badet. Wir tauschen uns über weitere gemeinsame Bekannte aus, über die Sängerin Roswitha Trexler, über Georg Katzer und Frank Schneider. Als wir uns verabschieden, versichert er mir, wenn er in Berlin sei, werde er mich besuchen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.