Wir sehen uns im August by Gabriel García Márquez
Autor:Gabriel García Márquez [Márquez, Gabriel García]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2024-03-12T00:00:00+00:00
Inhaltsverzeichnis
5
DIE NACHT DES FOLGENDEN 16. Augusts war ihr schon vom Schicksal vorherbestimmt. Ana Magdalena Bach fand die Insel in einem chaotischen Zustand vor wegen eines internationalen Tourismuskongresses, in den Hotels kein freies Zimmer, und die Strände waren von Zelten und Schlafzimmern auf Rädern besetzt. Nachdem sie zwei Stunden lang irgendeine Schlafgelegenheit gesucht hatte, ging sie zu ihrem vergessenen Hotel del Senador, das renoviert, sauber und nun teurer war, aber kein Angestellter aus früheren Zeiten war zu sehen.
Da war keiner, an den sie sich wenden konnte, um ein Zimmer zu bekommen. Schlimmer noch: Ein sehr respektabel aussehender Kunde beklagte indigniert, dass seine zweimal bestätigte Reservierung nicht verzeichnet war. Er hatte das gemessene Auftreten einer Magnifizenz, eine schleppende, milde Stimme und eine erstaunliche Gabe für höfliche Beleidigungen. Der einzige Angestellte an der Rezeption hing am Telefon und versuchte, ihm ein Zimmer in einem anderen Hotel zu beschaffen. Aus dem Bedürfnis, seinen Ãrger zu teilen, wandte sich der Kunde an Ana Magdalena. »Diese Insel ist ein einziges Chaos«, sagte er und zeigte ihr die offizielle Bestätigung seiner Reservierung. Ohne Brille konnte sie die nicht lesen, bekundete aber Verständnis für seine Empörung. SchlieÃlich wurden die beiden von dem Angestellten mit der triumphalen Nachricht unterbrochen, es gebe ein freies Zimmer in einem Zweisternehotel, das jedoch sauber und gut gelegen sei. Ana Magdalena sagte schnell: »Gibt es da nicht noch eins für mich?«
Der Angestellte fragte telefonisch nach, nein, es gab keins. Daraufhin nahm der Kunde ihren Koffer mit der linken Hand, und mit der anderen hakte er Ana Magdalena mit einer ungewöhnlichen Vertrautheit unter, was sie als leicht übergriffig empfand.
»Kommen Sie mit«, sagte er. »Dort sehen wir weiter.«
Sie stieg in seinen neuen Wagen, und er fuhr am Rand der Lagune entlang. Er sagte, das Hotel del Senador gefiele ihm. »Mir auch, wegen der Lagune«, sagte sie, »und jetzt sehe ich, dass es renoviert wurde.« »Vor zwei Jahren«, sagte er. Sie stellte fest, dass er also häufig auf der Insel war, und erzählte ihm, dass auch sie seit Jahren käme, um einen Gladiolenstrauà auf das Grab ihrer Mutter zu legen.
»Gladiolen?«, fragte er erstaunt, da er nicht gewusst hatte, dass die auf der Insel wuchsen. »Ich dachte, die gibtâs nur in Holland.«
»Das sind Tulpen«, warf sie ein.
Sie erklärte, dass die Gladiolen auf der Insel tatsächlich nicht weitverbreitet seien, irgendjemand habe sie aber einst eingeführt, und nun hätten sie einen guten Ruf in der Küstenregion und den Dörfern des Landesinneren. Sie schloss, für sie seien die Gladiolen dermaÃen wichtig, dass sie, wenn es eines Tages keine mehr auf der Insel gäbe, jemanden finden würde, der sie neu anpflanzt.
Es begann leicht zu regnen, sie meinte, das werde nicht lange anhalten. Er glaubte das Gegenteil, ihm war das Wetter im August schon immer unzuverlässig vorgekommen. Er musterte sie von Kopf bis FuÃ, ihre einfache Kleidung von der Fähre, und meinte, bei dem Regen könnte sie für den Friedhof etwas mehr brauchen. Doch sie beruhigte ihn: sie sei daran gewöhnt.
Um das Hotel zu erreichen, mussten sie die Lagune umfahren bis dorthin, wo das Dorf der Armen begann.
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