Wir leben im Verborgenen by Ceija Stojka

Wir leben im Verborgenen by Ceija Stojka

Autor:Ceija Stojka [Stojka, Ceija]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
veröffentlicht: 2014-09-21T00:00:00+00:00


Du darfst keine andere sein

IM GESPRÄCH MIT KARIN BERGER (1987)

Hat es für dich einen bestimmten Punkt gegeben, wo du dir gedacht hast, jetzt beginne ich, das alles aufzuschreiben?

Der Punkt war, dass ich mit jemandem reden wollte. Es war aber niemand da, der mir zugehört hätte, und – Papier ist geduldig. Es hat mit dem Schreiben halt recht gehapert, aber wie ich einmal begonnen habe, sind die Erinnerungen nur so herausgeschossen. Danach hat es mir das Gefühl gegeben, es ist vollbracht, das ist jetzt die Wahrheit. Obwohl es oft ein bisschen schwierig war zu schreiben, denn mein Partner hat kein richtiges Verständnis dafür gehabt. Es ist ihm auch gar nicht eingegangen, dass ich einen Bleistift in die Hand nehme, höchstens wenn ich meinen Namen unterschreibe oder den Kindern von auswärts eine Karte schicke, die nur die Kinder in die Hand kriegen. Der Briefträger kennt mich ja nicht, also brauch ich mich nicht genieren. Daher musste ich immer die Zeit ausnützen, in der ich alleine war. Eine halbe Stunde hab ich meistens geschrieben, dann musste ich ja schon wieder kochen. Während ich aber gekocht oder das Essen serviert oder Geschirr abgewaschen hab, hat sich das in mir wieder gespeichert, in meinen Gedanken war ich schon wieder auf dem Papier. Und wie ich dann wieder Zeit gehabt hab, ist das fließend herausgekommen.

Einmal hab ich den ganzen Stoff nicht gefunden. Wo ist er? Drei Tage hab ich gesucht. Die anderen hatten ihn irgendwo verlegt, weil sie dem keine Beachtung geschenkt haben. Ist eh klar! Was ich geschrieben hatte, hat ja ausgeschaut wie Kritzeleien, aber für mich war es wichtig, ich konnte meine Schrift ja lesen. Einmal hab ich dann diese Zettel schön geordnet, hab einen genommen und bin zu meinem Bruder gegangen. Karli, hab ich zu ihm gesagt, du tätst mir einen Gefallen, wenn du das Blattl lesen würdest. – Geh, das Gekritzel, schmeiß weg. – Und ich hab mich geniert für mein Gekritzel und bin gegangen. Trotzdem hab ich alles genommen und in der Küche, wo niemand hinkommt, aufgehoben. Und immer, wenn ich eine neue Seite fertig hatte, hab ich sie dazugeschmissen. Zum Schluss hab ich mich nicht mehr abhalten lassen. Auch wenn es geheißen hat, ich soll in die Küche gehen, hab ich nicht mehr gefolgt. Es ist dann zu viel auf mich zugekommen, ich habe zu viel erlebt und mich durchkämpfen müssen. Damit mir Auschwitz nichts machen kann. Da hab ich mir nichts mehr einreden lassen und bin hart geblieben. Die Kinder sind gekommen und ich bin mit meinen Zetteln ins Kabinett, was für sie sehr ungewohnt war. So konnte ich es schaffen. Aber Auschwitz habe ich ein zweites Mal erlebt. Manches Mal hab ich sogar aufgeschaut und mir gedacht, Hilfe, der kommt jetzt auf mich zu mit seinen Stiefeln. Hoffentlich sieht er mich nicht! Du musstest schon eine Künstlerin sein, dort drinnen in der Baracke. Da sind fünfhundert Leut drin, und alles stöhnt, alles ist krank, wenn nicht körperlich, dann seelisch. Und diese armen Kinder! Der eine hat keinen Fuß gehabt, er war wie abgefressen.



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