Wir Gutkrieger by Eric Chauvistré
Autor:Eric Chauvistré
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
Herausgeber: Campus
5. Gefühlte Erfolge
»Zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt«, so steht es in Drucksache 14/11469, beantrage die Bundesregierung den »Einsatz bewaffneter Streitkräfte«. Knapp und eindeutig. Das vorgegebene Ziel war höchst moralisch – vor allem aber war es denkbar ambitioniert. Über das Moralische wurde in Deutschland vor, während und nach dem Kosovokrieg gestritten, über ethische Verantwortung und Verantwortbarkeit, über Legitimität und Legalität. Kaum diskutiert wurde, ob das Ziel nicht vielleicht ein wenig zu hoch angesetzt war, ob es mit den eingesetzten Mitteln überhaupt erreichbar sein konnte. Völlig unbeachtet blieb deshalb auch der zweite Teil des vom Parlament verabschiedeten nur siebenzeiligen Mandats. Denn der Auftrag, der dort erteilt wird, ist zwar einerseits der weitestreichende, den deutsche Streitkräfte seit 1945 erhalten haben: Erstmals ermächtigte der Deutsche Bundestag die Bundeswehr zur aktiven Beteiligung an Luftangriffen. Zugleich ist der dort beschriebene Auftrag aber sehr viel begrenzter als das, was dann tatsächlich folgte. Das Mandat galt nämlich nur für die Beteiligung an »begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen«. Das ist nicht gerade eine passende Beschreibung für das dann folgende zweieinhalbmonatige Dauerbombardement.
Nirgends sonst ist die Naivität, sind die Illusionen über die Dynamik militärischer Gewalt so explizit dokumentiert wie in dieser, dem Bundestag am 16. Oktober 1998 zur Abstimmung vorliegenden Drucksache. In der Plenardebatte sprachen der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vom Parlament gewählte künftige Kanzler Gerhard Schröder und der künftige Außenminister Joschka Fischer von der Möglichkeit der tatsächlichen Umsetzung der militärischen Drohungen der NATO nur in der Vergangenheitsform, denn just zu diesem Zeitpunkt erschien es beiden so, als habe die Drohstrategie Erfolg. Eine Woche zuvor hatte der NATO-Rat die sogenannte »Activation Order« beschlossen, die Militärs hatten also schon die politische Erlaubnis für die Luftangriffe. Fischer lobte sich im Bundestag dafür, zumindest schon einmal über die Möglichkeit der Umsetzung der Drohung nachgedacht zu haben. Der »mögliche Einsatzbefehl und die Rolle, welche die deutschen Streitkräfte dabei in der ersten Welle zu spielen gehabt hätten«, habe bei den Überlegungen natürlich »eine große Bedeutung gehabt«.1
Doch auch als dann fünf Monate später, im März 1999, der vom Parlament gefasste Vorratsbeschluss von der Bundesregierung in Anspruch genommen wurde, waren die politischen Entscheider noch voller Illusionen. Statt wie im Oktober 1998 durch den Parlamentsbeschluss eines eilig zusammengetrommelten Bundestags lediglich verbal, mussten die Drohungen gegenüber der Regierung in Belgrad nun mit richtigen Bomben untermauert werden. Im Kopf hatte man da wohl die Luftangriffe auf den Irak im Dezember 1998. Unter dem Codenamen »Desert Fox« hatte die Clinton-Regierung vier Tage lang Irak bombardieren lassen, um damit Forderungen nach Zugang zu irakischen Atom und Chemieanlagen und Dokumenten im Rahmen der UNSCOM-Inspektionen durchzusetzen. Doch diesmal war das Ziel sehr viel ambitionierter. Nach dem Kosovokrieg beschrieben offizielle US-Quellen in Analysen mit kaum verhaltenem Erstaunen bis Entsetzen, dass die politischen Entscheidungsträger in Europa tatsächlich von nur zweitägigen Bombardements ausgegangen waren. Dann sollte alles wieder in Ordnung sein. Die Regierung in Belgrad würde eingelenkt haben, der Vertrag von Rambouillet wäre von allen unterzeichnet und die NATO-Bodentruppen könnten ins Land rollen.
Ganz so simpel war es dann doch nicht. Die Bombardements der NATO mit Beteiligung der Bundesluftwaffe dauerten nicht 48 Stunden, sondern 78 Tage.
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