Winterwind (German Edition) by Durst-Benning Petra

Autor:Durst-Benning, Petra [Durst-Benning, Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2014-10-09T22:00:00+00:00

Natürlich erlaubte Florentine ihrer Tochter, zu der Party zu gehen. Sie hatte zuvor mit Carolines Mutter in der Bäckerei gesprochen, und die hatte ihr versichert, dass es im Lokschuppen ganz zivilisiert zugehen würde. »Keine Drogen, kein harter Alkohol, sonst ließen wir unser Mädle bestimmt nicht gehen«, hatte die Bäckersfrau gesagt und damit Florentine beruhigt. Sie bestand jedoch darauf, Anna um halb eins am Lokschuppen abzuholen.

Florentine selbst hatte auch eine Einladung bekommen – von Moritz, der nach Reutlingen zu einer Party fahren wollte. »Komm doch mit, Sabine und Gerhard freuen sich bestimmt über einen weiteren Gast!«

Aber Florentine hatte abgewinkt. Der Gedanke, Silvester ganz allein am Kachelofen zu verbringen, erschien ihr auf einmal sehr verführerisch. Zu viele Gedanken hatten sich in den letzten Tagen in ihrem Kopf breitgemacht, vielleicht gelang es ihr in der letzten Nacht des Jahres, sie zu ordnen, so wie sie es mit den Akten im Schrank getan hatte. Dazu waren die Raunächte, wie nicht nur Moritz die Zeit zwischen den Jahren nannte, schließlich da.

Während Anna sich mit Florentines Wimperntusche die Augen schminkte, richtete Flo ein paar belegte Brote her. Eins davon schlang Anna gerade hastig hinunter, als es an der Tür klingelte. »Marcel …«, hauchte sie entzückt und legte das angebissene Brot achtlos zur Seite.

»Dir auch einen schönen Abend!«, rief Florentine ihr hinterher, lächelte aber dabei.

Nachdem Flo ein wenig ferngesehen hatte, machte sie das Gerät wieder aus. Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster in die Nacht. Wie still und friedlich es hier war. So ganz anders als im hektischen Frankfurt.

Frankfurt … Bei dem Gedanken an die Hektik und den morgendlichen Stop-and-go-Verkehr vom Vorort bis in die City lief ihr ein Schauer über den Rücken. Morgens mit dem Aufzug hoch in den Betonklotz, abends wieder hinunter und zwischendurch ein Snack im Fastfood-Imbiss. Und alles immer in Zeitnot – was für ein Leben!

Florentines Blick fiel auf die von zu Hause mitgebrachten Akten – alles Fälle, denen sie sich im neuen Jahr würde widmen müssen. Eine Restaurantkette wollte zukünftig nur noch Bio anbieten und bat um ihre Einschätzung der Erfolgschancen, ein türkischer Schneider wollte einen Online-Jeanshandel eröffnen, und dann gab es noch die Hausfrau, die ihren Traum von einer netten kleinen Boutique träumte.

Welche Träume hatte sie eigentlich noch?, fragte sich Florentine, während irgendwo in der Nähe ein Böller hochging. Wollte sie sich wirklich den Rest ihres Lebens mit den Geschäftsideen anderer Leute beschäftigen?

Unwillkürlich musste sie an das wohlige Gefühl denken, das sie am Vortag in der Packstube empfunden hatte. So viele vergessene Kindheitserinnerungen waren in ihr hochgekommen! Und dann der Duft der Sämereien, der nach all den Jahren noch immer in der Luft hing! Dazu die kleinen Papiertüten mit leuchtendroten Tomaten und grellgrünen Bohnen darauf – der Anblick der altmodischen Verpackungen hatte sie regelrecht gerührt.

»Der Samenhandel ist nicht zukunftsfähig«, hatte sie zu Anna gesagt. Ihre Tochter hatte sie daraufhin seltsam angeschaut. Enttäuscht und vorwurfsvoll, zumindest war es Florentine so vorgekommen. Als ob sie mit diesen Worten das Erbe ihrer Familie verraten hätte. Aber was konnte sie für den Lauf der Zeit? Die Dinge lagen nun einmal, wie sie lagen, und daran ließ sich nicht rütteln.

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