Winterstarre by Joachim Rangnick

Winterstarre by Joachim Rangnick

Autor:Joachim Rangnick
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kriminalroman
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH
veröffentlicht: 2010-12-31T16:00:00+00:00


Familientag

Als Keimzelle einer funktionierenden Gesellschaft, mit Glorien wie Stabilität, Sicherheit, Rückhalt, Wurzeln, Blutsbande, Wärme und anderen Schwergewichten umkränzt, hatte Walcher den Samstag im Kalender mit einem dicken roten X versehen und darunter notiert: »Familie«.

Deshalb verschob er auch die Wanderung im Mägertal, zu der er Theresa überredet hatte, auf den Sonntag und widmete sich stattdessen der Familie, um genau zu sein: erst einmal Oma und Opa Brettschneider, Irmis biologischen Großeltern.

Er besorgte Bänke und Tische sowie Grill und Grillkohle und stellte alles in Brettschneiders Remise auf. Karrte Getränke, die bestellten Wurstwaren, Semmeln, Brezeln, Kuchen herbei und zapfte das Partyfässchen Bier an. Schließlich war er der Einzige, so die Meinung der Großeltern, der keiner geregelten Arbeit nachging und somit über genügend Zeit für derlei Liebesdienste verfügte, außerdem hatte er sich lange genug bedienen lassen. Walcher hatte sich also klaglos einspannen lassen, galt es doch, Irmis Großeltern und damit der Tochter selbst eine Freude zu bereiten.

Irmis Lebensgeschichte war von zwei entsetzlichen Erfahrungen geprägt, weshalb Walcher sämtliche Gelegenheiten, die der Nestpflege innerhalb einer Großfamilie dienten, gerne unterstützte. Er betrachtete es als durchaus nicht selbstverständlich, dass sich Irmi nach dem Unfalltod ihrer Eltern und dem darauf folgenden Tod ihrer seitdem wichtigsten Bezugsperson, ihrer Patentante und Adoptivmutter Lisa Armbruster, normal entwickelte. Lisa. Wenn alles wie geplant abgelaufen wäre, hätten er und Lisa Adoptivtochter Irmi gemeinsam begleitet. So war nur er übrig geblieben und natürlich die Großeltern Brettschneider und Armbruster. Da kann man dann schon mal den Hausdiener spielen, dachte Walcher und schob die dunklen Erinnerungen zurück in die Kiste.

Die Grillkohlen glühten bereits, als am frühen Nachmittag der Reihe nach die ganze Verwandtschaft auftauchte, darunter auch die adoptierten Großeltern Armbruster mit einem Teil ihrer Familie.

Für diesen Familientag gab es keinen bestimmten Anlass, jedenfalls offiziell nicht. Alle wussten aber, dass sich dahinter der Wunsch und die Hoffnung der beiden Großelternpaare verbargen, Irmi ein stabiles Familiennest zu bieten. Zum dritten Mal fand das Treffen inzwischen statt, löste allerdings, abgesehen von den Großeltern Brettschneider selbst, beim Rest der Familien eher verhaltene Begeisterung aus.

Dass Irmi das Ganze als »erpresstes Schaulaufen« bezeichnete, verdeutlichte Walcher wieder einmal, wie unscharf seine Wahrnehmung von ihr war und wie wenig er von seiner Tochter wusste. Nicht nur Irmi, sondern den meisten war anzumerken, jedenfalls wenn er genau hinsah, dass dieser Familientag kein viertes Mal stattfinden musste. Selbst Opa Armbruster flüsterte Walcher in einem ungestörten Moment zu, dass man ein paar Partien Schach hätte spielen können, anstatt hier halbgar herumzuhängen.

Armbruster gehörte zum alteingesessenen Bauernadel der Gegend und hatte sich als unangepasster und kritischer Landtagsabgeordneter einen Namen gemacht. In seinem Jahrgang, zweiundachtzig wurde er in diesem Jahr, gehörte er zu den wenigen Bauernsöhnen, die studieren durften – in seinem Fall Agrarwissenschaft – und nicht einfach nur den elterlichen Hof übernahmen. Sein Rat war immer noch gefragt, auch von den weit jüngeren Politikern aus der Gegend. Armbruster gehörte neben Frau Zehner, der Besitzerin der letzten Kolonialwarenhandlung im Weiler, zur bestinformierten Elite des Landkreises. Deshalb wunderte es Walcher nicht, dass Armbruster bald das Thema Mägertal ansprach und über die Informationspolitik der Verantwortlichen schimpfte.



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