Winnetou I by Karl May

Winnetou I by Karl May

Autor:Karl May [May, Karl]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Schule & Lernen, Lektüre- & Interpretationshilfen, Deutsch, History, Americas, United States, State & Local, Foreign Languages, German, West
ISBN: 9783872912169
Herausgeber: Hamburger Lesehefte Verlag
veröffentlicht: 2007-06-01T22:00:00+00:00


nicht vom Lager auf, und selbst wenn ich stark genug zum Gehen gewesen wäre, wußte ich nicht, ob es mir erlaubt war, den Raum zu verlassen, in welchem ich mich befand. Als es dunkel wurde, kam die Alte und setzte sich in die Ecke. Sie brachte eine Lampe mit, welche aus einem kleinen ausgehöhlten Kürbis bestand und die ganze Nacht brannte. Diese Alte hatte die gröberen Arbeiten zu verrichten, während Nscho-tschi, um mich so auszudrücken, das Prinzip der Gastlichkeit vertreten sollte.

Ich tat die ganze Nacht hindurch wieder einen tiefen, kräftigenden Schlaf und fühlte mich am andern Morgen stärker als am vorhergehenden Tage. Heut bekam ich nicht weniger als sechsmal zu essen, immer dicke Fleischbrühe mit Maismehl; das war ebenso nahrhaft wie leichtverdaulich und wurde auch die nächsten Tage und so lange fortgesetzt, bis ich besser schlingen und also festere Nahrung, besonders Fleisch, zu mir nehmen konnte. Mein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Das Skelett bekam wieder Muskeln, und die Geschwulst im Munde nahm stetig ab. Nschotschi blieb ganz dieselbe, immer freundlich besorgt und dabei überzeugt, daß mir der Tod immer näher rücke. Später bemerkte ich, daß ihr Auge, wenn sie sich unbeachtet glaubte, mit einem wehmütigen, still fragenden Blicke auf mir ruhte. Es schien, daß sie begann, mich zu bedauern. Ich hatte ihr also unrecht getan, als ich annahm, daß sie kein Herz besitze. Ich fragte sie, ob es mir erlaubt sei, meinen Kerker, dessen Tür stets offen stand, zu verlassen; sie verneinte dies und teilte mir mit, daß Tag und Nacht, ohne von mir bemerkt worden zu sein, zwei Wächter vor der Tür gesessen hätten und mich auch ferner bewachen würden. Ich hatte es nur meiner Schwäche zu verdanken, daß ich nicht gefesselt worden war, und sie glaubte, daß man mir nun bald Riemen anlegen werde.

Das forderte mich zur Vorsicht auf. Ich verließ mich zwar auf die Haarlocke, aber es war doch vielleicht möglich, daß sie die beabsichtigte Wirkung verfehlte; dann konnte ich mich nur auf mich selbst verlassen, auf mich und meine Körperstärke, und diese Kraft mußte ich üben. Aber wie?

Ich lag nur, wenn ich schlief, auf den Bärenfellen; sonst saß ich auf oder ging im Raume auf und ab. Ich sagte Nscho-tschi, daß ich das niedrige Sitzen nicht gewöhnt sei, und fragte sie, ob nicht ein Stein zu bekommen sei, der mir als Sitz dienen könne. Dieser Wunsch wurde Winnetou vorgetragen, und er schickte mir mehrere von verschiedener Größe; der schwerste konnte etwas über einen Zentner wiegen. Mit diesen Steinen übte ich mich, so oft ich allein war. Gegen meine Pflegerinnen

simulierte ich noch Schwäche; in Wirklichkeit aber wurde es mir schon nach vierzehn Tagen nicht mehr schwer, den großen Stein vielmal nacheinander hoch emporzuheben. Das verbesserte sich noch weiter, und als die dritte Woche vergangen war, wußte ich, daß ich meine frühere Körperkraft vollständig wieder hatte.

Ich war nun sechs Wochen hier und hatte nicht gehört, daß die gefangenen Kiowas entlassen worden seien. Das war eine Leistung, gegen zweihundert Mann so lange zu ernähren! Jedenfalls aber hatten die Kiowas dafür zu zahlen.



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