Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition) by Hofmann Gunter
Autor:Hofmann, Gunter [Hofmann, Gunter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406639784
Herausgeber: C. H. Beck
veröffentlicht: 2012-09-19T22:00:00+00:00
V. Schisma
Die Zäsur von 1989, der Fall der Mauer, scheint im Nachhinein die große Auseinandersetzung beinahe vergessen zu machen, die die Republik einst maßlos erregte. Friedensbewegte und «Realpolitiker» prallten aufeinander, Parteilinke und -rechte, zwei Denkschulen, als müsse der gewaltige Ost-West-Konflikt auf der kleinen Bonner Hofgartenwiese vor dem Hauptgebäude der Universität ausgefochten werden. Im Mittelpunkt: Helmut Schmidt und Willy Brandt. In der Hauptsache handelte die Kontroverse von der Gefahr einer neuen nuklearen Aufrüstungsrunde, eher am Rande auch davon, ob die Republik sich von der Kernenergie verabschieden solle. Noch zu Zeiten der Kanzlerschaft Schmidts fassten sozialdemokratische Landesverbände – voran die südwestdeutsche SPD – Ausstiegsbeschlüsse, lange vor Tschernobyl. Schmidt empörte sich, Brandt nahm dazu nicht Stellung, es war keine existenzielle Frage für ihn, und so folgte er wie gewohnt in solchen Fällen lieber den Parteifreunden.
«Wieso die Deutschen?» Vier Jahre vor seinem Tod, 1988 in Garnières, kam Willy Brandt auf Helmut Schmidt, die Deutschen und auf seine Freunde zu sprechen, wie ich mich entsinne. Denis Healey, der britische Labour-Politiker und Verteidigungsminister, habe ihn einmal empört gefragt, wieso ausgerechnet ein deutscher Kanzler die Welt darüber belehren wolle, was geschehen müsse im Rüstungswettlauf der Großen. Ob die Deutschen wirklich den Amerikanern beibringen müssten, was sie auf dem militärischen Sektor machen sollten, wollte Healey vom SPD-Vorsitzenden wissen. Die Frage war natürlich nur rhetorisch gemeint.
Brandt sprach damals vom schwersten Konflikt, den er je auszutragen hatte mit Helmut Schmidt, der Frage nämlich, ob im Zweifel neue atomare Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik stationiert werden sollten, um damit auf die Entscheidung in Moskau zu reagieren, das eigene Angriffspotential mit modernen SS-20-Atomraketen aufzustocken.
Mit ihrem berühmten «Nato-Doppelbeschluss» hatte die Allianz 1979 angekündigt, in vier Jahren (1983) ihre Pershing II und Cruise-Missile vor allem auf dem Boden der Bundesrepublik zu stationieren, damit also «nachzurüsten», falls Moskau auf die Stationierung seiner Waffen nicht verzichte. Der Kalte Krieg drohte, erneut kälter zu werden. Brandt sah die Entspannungspolitik, sein Erbe, in Gefahr.
«Erzwungen» seien die Argumente für eine neue Rüstungsrunde seinerzeit gewesen, urteilte Brandt, und so notierte ich mir damals im Gespräch im Schatten des Waldes von Garnières. Dieses ganze Denken, vor Militärs kuschen und sich auf ihre Logik einlassen, habe er immer für falsch gehalten. Ausgesprochen hat er es anfangs allerdings so deutlich keineswegs, öffentlich jedenfalls nicht.
Die Politiker in der Bundesrepublik, so war Brandt zu verstehen, wussten doch, dass andere ohnehin in ihrer militärischen Logik verharren. Warum sollten sie deren Geschäft besorgen? «Gerade wir Deutschen hatten etwas anderes einzubringen.» Spürbar fremd war ihm Schmidts Denkansatz geblieben, und nun – 1988 – konnte er darüber frei reden. Nach der Jahrhundertkatastrophe, die sie zu verantworten hatten, kam den Deutschen nach seiner Überzeugung eine andere Rolle zu: Zur Entspannung, zum politischen Eingrenzen von Konflikten zwischen zwei atomar völlig überrüsteten Mächten sollten sie beitragen. Und nun empfahlen deutsche Politiker selbst, im Zweifel eine atomare Raketenlücke mit einer «Nachrüstung» zu schließen?
Kriegsschauplatz Deutschland Für einen Moment muss man sich auf die Details dieser Kontroverse einlassen, schon um zu begreifen, warum sie sich speziell in der Bundesrepublik so entlud, weshalb sie uns heute ungeheuer
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