William Shakespeare in seiner Zeit by Gelfert Hans-Dieter
Autor:Gelfert, Hans-Dieter [Gelfert, Hans-Dieter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406659201
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Die Historien
Mit den history plays reagierte Shakespeare auf ein Interesse an der nationalen Geschichte, das durch den Sieg über die spanische Armada mächtig angefacht worden war. Zudem war das Legitimitätsproblem des Hauses Tudor inzwischen wieder verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung getreten. Das Problem hätte sich erledigt, wenn Edward, der Sohn Heinrichs VIII., nicht schon mit 16 Jahren gestorben wäre. Doch sein früher Tod, die gewaltsame Rekatholisierung unter Maria, danach die Rückkehr zum Protestantismus unter Elisabeth, die in den Augen der Altgläubigen ein Bastardkind war, und deren eigene Kinderlosigkeit mussten bei vielen Bürgern den Eindruck wecken, dass England von Gott gestraft wurde. Das schuf ein Klima, in dem der früher erwähnte Tudor-Mythos erneut an Bedeutung gewann. Es würde zu weit gehen, den Dramatikern zu unterstellen, dass sie sich bewusst in den Dienst einer ideologischen Kampagne stellten, doch dem Einfluss der schon seit drei Generationen betriebenen Rechtfertigung des Hauses Tudor konnten sie sich kaum entziehen, zumal sie ökonomisch auf die Gunst des Adels und der Krone angewiesen waren.
Bei Shakespeare kam hinzu, dass er persönlich ein besonders starkes Interesse an Ordnung und Stabilität hatte. Seine konservativ-paternalistische Weltsicht musste seinen Blick zwangsläufig auf die nationale Geschichte lenken. Das Gleiche galt natürlich auch für sein Publikum. Deshalb fand er rege Nachfrage für seine Historien, in denen er beinahe lehrbuchhaft vier Fragen thematisiert: Wie soll ein guter Monarch charakterlich beschaffen sein? Durch welche Erbfolge ist er legitimiert? Wann darf ein fähiger, aber weniger legitimierter Thronaspirant einen schwachen, doch besser legitimierten König vom Thron stoßen? Darf ein Verbrecher, der sich durch Mord in die Position des legitimen Thronfolgers gebracht hat, von einem guten, aber nicht legitimierten Gegner gestürzt werden? Shakespeare verhandelt diese Fragen in zehn Stücken, von denen drei eine Trilogie und zwei ein Doppeldrama bilden. Inhaltlich lassen sich je vier von ihnen zu zwei Tetralogien zusammenfassen, auch wenn sie nicht als solche geplant waren.
Anders als bei den Komödien und Tragödien, für die es antike Vorbilder gab, hatte sich die Form der Historie – im Deutschen spricht man auch von Königsdramen – erst in England ausgebildet, wo sie durch Shakespeare zur Vollendung gebracht wurde. Seine große Leistung besteht darin, dass er aus den historischen Stoffen, die eher für eine Präsentation in epischen Bilderbögen geeignet scheinen, vollgültige Dramen machte. Das war allein schon wegen der großen Zahl der handelnden Personen erheblich schwerer als die Dramatisierung einer schon dramatisch angelegten Novelle, auf die beispielsweise Othello zurückgeht. Bei den frühen Historien spürt man noch, wie der Dichter mit der Stofffülle ringt; doch spätestens mit Richard III. erweist er sich als Meister seiner Kunst, und in Richard II. gelingt ihm ein politisches Drama, das zugleich ein subtiles Seelendrama ist. Bilderbogenhaft ist nur die letzte Historie, Heinrich VIII., die Shakespeare zusammen mit John Fletcher schrieb. Zahlreiche weitere Kollaborationen wurden und werden bei anderen Stücken vermutet. Doch hinreichend belegt sind nur die, bei denen es an entsprechender Stelle später genannt wird. Ein anderes Problem bei der Dramatisierung historischer Stoffe war der Umstand, dass die Könige, die den Stücken ihren Titel gaben, nicht immer
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