Wiener Flohmarktleben by Richard Swartz

Wiener Flohmarktleben by Richard Swartz

Autor:Richard Swartz [Swartz, Richard]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783552057555
Herausgeber: Paul Zsolnay Verlag Wien 2015
veröffentlicht: 2015-09-28T16:00:00+00:00


Seit bald vierzig Jahren befindet sich der Wiener Flohmarkt in der Verlängerung des Naschmarkts zwischen der Rechten und der Linken Wienzeile. Fast jeden Samstag im Jahr ist er von der Morgendämmerung bis zum späten Nachmittag geöffnet. Die übrige Woche befindet sich dort ein Parkplatz. Anfangs war der Platz als Provisorium gedacht, aber die Stadt Wien schätzt das Zufällige und Unvollendete, und da der Flohmarkt nun schon so lange am Naschmarkt ist, hat er die Wiener davon überzeugt, dass er nie irgendwo anders gewesen ist als dort. Also durfte er bleiben.

Der Naschmarkt ist in dieser Stadt der größte Markt für Gemüse, Obst und Lebensmittel, und die Wiener lieben diesen Markt, wo Gemüse und Obst oft von schlechterer Qualität sind als die Waren, die auf dem Flohmarkt angeboten werden. Der Handel findet oberhalb der Wien statt, die auf ihrem Weg in die Donau gerade hier in der Nähe des Naschmarkts unter die Erde verlegt worden ist. Was sie dort treibt, ist schwer zu sagen. Aber über der Erde gibt es den Wiener Naschmarkt seit mehr als hundert Jahren. Der Flohmarkt passt gut dazu, hat er ja mit der Verdauung der Stadt zu tun: Hier entledigt sie sich von allem Überflüssigen und Verbrauchten, alles, was sie nicht mehr verwenden kann, irrt sich dabei aber gewaltig. Denn von solchen Ausscheidungen leben in der Großstadt viele Sammler, Händler, Originale und nicht wenige arme Menschen. Wien ahnt das; ein Begriff wie Wiederverwertung ist nur ein anderes Wort für das urbane schlechte Gewissen.

Vierzig Jahre ist keine lange Zeit für einen Flohmarkt. Aber für Händler und Kunden sieht das anders aus; schnell lösen sie einander ab, obwohl der eine oder andere Händler sich vielleicht noch aus der Zeit gehalten hat, als der Flohmarkt sich Am Hof befand. Dass ich nicht schon längst einer von ihnen geworden bin – meine vollgestopften Schränke und Schubladen hätten das jederzeit ermöglicht –, hat vermutlich mit mangelndem Mut zu tun, mit Angst vor einer so unsicheren Existenz.

Hätte ich nicht anfangen sollen, meine Sachen samstags auf dem Naschmarkt zu verkaufen? Sammlungen, die ich nicht mehr fortführe? Doubletten? Alles, dessen ich leid geworden bin? Ich habe meinen Bekannten, den russischen Teppichhändler, gefragt, was er von der Sache halte. Er hat mir abgeraten. Ich würde mich besser als Kunde eignen; Sachen auf dem Flohmarkt zu verkaufen sei in meinem Fall zum Scheitern verurteilt. Man muss wissen, wo sein Platz ist. Vielleicht hat er mir nicht verziehen, dass ich ihm das Bild von P.C. Ducray nicht verkauft habe. Aber wenn ich dem Russen Glauben schenke, muss jede Abenteuerlust ihre Grenzen haben, und der Selbsterhaltungstrieb ist die höchste aller Pflichten.

Gerade jemand wie ich sollte es besser wissen, meinte er. Hatte ich ihm nicht erzählt, wie der Liebhaber meiner Großmutter vor der Revolution floh, als Sankt Petersburg, während des Krieges Petrograd, im Begriff war, Leningrad zu werden? Meinem russischen Bekannten zufolge sollte mir das eine Lehre sein. Sich in Petrograd, früher Sankt Petersburg, mit einem Stock gegen Polizeipferde zu wehren war doch ein Kinderspiel gegen das, was kommen sollte.



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