Wie die Ruhe vor dem Sturm by Brittainy C. Cherry

Autor:Brittainy C. Cherry
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Lübbe AG
veröffentlicht: 2020-05-11T09:39:39+00:00

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ELEANOR

Ich hatte einen Fehler gemacht, als ich glaubte, Greyson wäre noch derselbe verspielte Junge, den ich einst gekannt hatte. Seit unserem Mailwechsel tat ich mein Bestes, die Unterredungen mit ihm professionell zu halten – wobei wir ohnehin kaum mehr als das Nötigste miteinander sprachen.

In den folgenden Wochen lernte ich sehr viel über die einzelnen Familienmitglieder.

Die Wände von Lorelais Zimmer waren allesamt mit ihren Bildern tapeziert. Es verging kein Tag, an dem sie nicht auf dem Bauch lag, mit den Beinen in die Luft kickte und an ihrem nächsten Meisterwerk arbeitete – selbstverständlich mit den Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken. Ihre Fantasie war gigantisch. Wir reisten in unserer Vorstellung nach Südafrika und rannten mit den Löwen um die Wette, und im nächsten Moment waren wir auf Hawaii und aßen frische Ananas.

Lorelai scheute auch nicht davor zurück, sich ausgiebig mit ihrer Mutter zu unterhalten. Und zwar jeden Tag. Manchmal, wenn ich ins Zimmer trat, unterhielt sie sich mit ihr, als stünde sie neben ihr. Und montags legte sie im Esszimmer immer ein Gedeck für Nicole mit auf den Tisch, denn am Montag gab es immer Spaghetti. Spaghetti waren Nicoles Leibspeise gewesen.

Es war so wundervoll zu sehen, wie dieses kleine Herz sich ihre Mutter bewahrte.

Das war etwas, das wir gemeinsam hatten – unsere täglichen Unterhaltungen mit unseren Müttern.

Und es gab Karla, meine beste Freundin auf abweisende Art. In ihrem Zimmer gab es nichts, von dem man etwas über sie hätte erfahren können, denn außer einem Computer auf ihrem Schreibtisch fand sich dort nichts. Die Wände waren so leer wie die Regale. Der einzige Funke Persönlichkeit steckte in dem »Zutritt verboten«-Tape und den mit Filzschreiber bemalten Schildern, auf denen »Finger weg« stand und die sie kreuz und quer über die Türen ihres begehbaren Kleiderschranks geklebt hatte.

Auf gewisse Weise war Karla damit hinlänglich beschrieben.

Und dann gab es noch Greyson, auch wenn ich ihn so gut wie nie sah.

Er war nie lange genug da, um ihn wirklich zu sehen. Mir blieben nur meine Erinnerungen daran, wie er einmal gewesen war, und ehrlich gesagt, konnte ich so gut wie nichts davon an dem heutigen Greyson wiederfinden. Und selbst wenn, dann nur selten. Er schien sich die größte Mühe zu geben, keinerlei Emotionen zu zeigen, und wenn sie ihm doch einmal herausrutschten, zog er sie schleunigst wieder zurück.

Er ging nicht nur mir aus dem Weg, sondern auch seinen Töchtern. Und selbst wenn er da war, schien er niemals wirklich anwesend zu sein. Es war, als würde er aus der Wirklichkeit auschecken, und ich wunderte mich, dass er überhaupt in der Lage war, seine täglichen Aufgaben in der Firma zu erledigen. Doch das schien er einzig gut zu beherrschen. Greyson war ein Workaholic und nahm diese Rolle sehr ernst.

Wenn er nicht am Telefon über geschäftliche Dinge redete, redete er meist gar nicht.

Er und Karla waren einander ähnlich, so kalt und abweisend. Aber Greyson war nicht garstig wie Karla. Er war einfach nur schrecklich verloren.

Wenn Lorelai und ich im Esszimmer saßen und zu Abend aßen, gaben Greyson und Karla sich alle Mühe, um bloß nicht in unsere Nähe zu kommen.

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