Wer fast nichts braucht, hat alles by Angela Bajorek

Wer fast nichts braucht, hat alles by Angela Bajorek

Autor:Angela Bajorek
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Ebooks in Ullstein Buchverlage
veröffentlicht: 2016-02-01T00:00:00+00:00


II

Janosch wird oft wiederholen, dass alles, was er in »Cholonek« beschrieben habe, die reine Wahrheit sei. Und dass die Menschen damals in den Grubenhäusern von Hindenburg-Poremba genauso gelebt hätten wie in der fiktiven Oschlowskistraße. Die einzige Geschichte, die er nicht verifizieren kann, was er auch zugibt, ist jene über den Minarek aus Scheskowitz: Die Geschichte über einen Schlawiner mit Holzbein, der mit seinen Kumpanen Wetten abschloss, dass er das Bein unter eine vorbeifahrende Tram legen würde. Eine Weile geht es gut, aber dann schiebt er eines Tages – um die Wette und somit sein Bier nicht zu verlieren – das gesunde Bein unter die Räder. »Und aus war’s«.19

Ob diese Anekdote, die ihm sein Vater erzählt hatte, wahr ist, kann Janosch nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass er in »Cholonek« viele Motive aus seinem eigenen Leben eingeflochten hat und dass ihm die eigene Familie als Vorbild für die literarischen Figuren gedient hat. Es war vielleicht nicht alles schmeichelhaft, aber sehr authentisch und getreu abgebildet. Die Großmutter Maria Godny war ein Vorbild für Frau Schwientek, die despotische Hausfrau, die das ganze Grubenhaus fest in der Hand hatte und für ihre komischen Lebensweisheiten berühmt war: »Von nichts kommt nichts«, »Alles kommt, wie es soll« oder »Wer alle Finger hat, ist von vornherein gleich besser dran«.

Der gutmütige, naive Großvater Paweł wurde verewigt als der alte Schwientek. So wie sein Vorbild verschwindet dieser ebenfalls gerne durch ein Loch im Zaun in die Kneipe, um für eine Weile in seinem Säufer-Himmel zu schweben, und genauso wie Paweł wird Schwientek von seinem Kameraden singend auf einem Handwagen nach Hause gekarrt, wo bereits die vor Wut rasende Ehefrau wartet. Und genauso wie dieser war Schwientek auch Machorka-süchtig:

»So wie jeder andere Mensch atmete, ein-aus, ein-aus, so rauchte der Schwientek die Pfeife. Hatte er das nicht, musste er an der gewöhnlichen Luft ersticken wie ein Fisch, den man aus dem Wasser nimmt. Für ihn war alles Tun auf der Welt sinnlos, aber die Sinnlosigkeit war schön.«20

Stanik Cholonek und seine Frau Mickel – also der Schwerenöter und Überflieger in seinen Lackschuhen und seine snobistische Ehefrau – hatten viel von Janoschs Eltern. Der Autor selbst hatte sich die Rolle von dem unseligen Cholonek Junior zugeteilt, der den Namen Adolf bekommt, »dass er es später gut hat«.

Das Kind leidet, von den Eltern in elegante Kleidung gezwängt, gequält von seinen Schulkameraden – bis es schließlich von jenen gesteinigt wird, die ihm in der Schule die Wurstbrote neideten.

»Cholonek wird in der Geschichte getötet – Cholonek bin ich –, ich wurde nicht getötet, denn keiner von den Steinen traf mich. Die Realität in Zabrze war für mich schlimmer als diese Geschichte!«, wird Janosch später zugeben.

Die Schwienteks, die Choloneks und ihre Nachbarn sind ein grotesk beschriebenes Lumpenproletariat, gerne mit Ambitionen in Richtung Bürgerlichkeit.

»Die wahre Eleganz ist ganz schlicht, auf Hohlsaum gearbeitet und hochgeschlossen«,21 verkündet Mickel Cholonek, außerdem duftet sie nach Kaloderma-Seife, wie der Spitzel und Lackaffe Detlev Hübner und dessen Familie, bei denen »alles von Kaloderma« war.

Janoschs Poremba ist eine mal groteske, mal grausame Welt. Den alltäglichen



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