Wer Schuld War by Christa Bernuth

Wer Schuld War by Christa Bernuth

Autor:Christa Bernuth [Bernuth, Christa]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller/Krimi
ISBN: 9783423248136
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 2010-01-01T23:00:00+00:00


Ihre Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, mit über neunzig, und erst in ihren letzten Lebensjahren hatte ihr scharfer Verstand nachgelassen, vergaß sie in einem schleichenden Prozess alles, was in den letzten fünfzig Jahren in ihrem Leben vorgefallen war. Stattdessen begab sie sich zurück in eine Vergangenheit, die sich in ihrem armen Kopf offenbar weitaus farbiger als die Gegenwart präsentierte und die Martha anhand spezifischer Details als das Jahr 1935 identifizierte. Also die glückliche Zeit vor ihrer Flucht, als noch niemand ahnte, dass diese Regierung das Schlimmste war, was einem passieren konnte: Vertreibung und Flucht, Hass und Verachtung und den unwiederbringlichen Verlust der Heimat, die Unfähigkeit, woanders jemals wieder Wurzeln zu schlagen, sich wieder zu Hause zu fühlen. Vor allem deshalb sind sie nie wieder dort gewesen, auch nicht in Schlesien, wo Harry geboren und aufgewachsen war. Sie hatten alles vermieden, was die Erinnerungen und den Schmerz hätte auffrischen können, und hatten stets gemäßigt links gewählt und ängstlich alle politischen Strömungen beobachtet, die ihnen einen neuen Krieg hätten bescheren können.

So gingen die Jahre ins Land, starben erst ihr Vater, dann Harrys Eltern, wurde Marthas Mutter wunderlich, ließ die Milch im Kühlschrank sauer werden, hortete das Einwickelpapier von Käse und Wurst in einer Schublade, wo es fürchterlich vor sich hin stank, und kochte sich Eier, deren Verfallsdatum Wochen zurücklag. Bis die alte Frau in ein betreutes Seniorenheim ziehen musste, wo sie ein winziges Appartement mit Nasszelle zugewiesen bekam, in dem sie sich wie in einem Gefängnis fühlte.

Das jedenfalls sagte sie immer wieder, solange sie noch sprechen konnte, und vielleicht war deshalb dann alles sehr schnell gegangen, hatte sie erst Manuel nicht mehr als ihren Enkel und wenige Monate später Martha nicht mehr als ihre Tochter erkannt, sondern verwechselte sie mit einer Tante Philomena, von der Martha noch nie gehört hatte. Interessanterweise war diese Tante Philomena nämlich offenbar ein rechter Besen gewesen, einer der wenigen Menschen, vor denen selbst ihre Mutter Respekt gehabt zu haben schien. Martha machte sich das schnell zunutze, bat nicht mehr, sondern befahl, hob in ihrer neuen Rolle auch mal versuchsweise die Hand, als drohte sie einen Klaps an, und stellte immer wieder aufs Neue fest, wie durchschlagend disziplinierend die Wirkung auf ihre streitsüchtige Mutter war, die sich früher von niemandem hatte ins Bockshorn jagen lassen, am allerwenigsten von ihrer sanftmütigen Tochter.



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