Wenn es einen noch gibt by Rose Lagercrantz

Wenn es einen noch gibt by Rose Lagercrantz

Autor:Rose Lagercrantz [Lagercrantz, Rose]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Biografie
ISBN: 9783924652708
Herausgeber: Persona Verlag
veröffentlicht: 2015-06-28T16:00:00+00:00


Adeline

Zurück zum Familienbild mit mir und Adeline im Vordergrund. Wir hätten sogar am selben Tag geboren werden sollen, aber Mama ging dreizehn Tage über die Zeit mit mir.

Trotzdem hat Adeline mich in gewissen Zeiten als ihren Zwilling betrachtet, erzählte sie mir. Wir sahen einander in keiner Weise ähnlich – aber wer sah sich schon ähnlich in dieser Sammlung ungleicher Familienmitglieder?

Adeline und ich trafen uns eigentlich selten. In der Zeit, als wir zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt waren, habe ich sie nicht ein einziges Mal gesehen, obwohl ich viel Zeit in Paris verbrachte.

Jedes Mal, wenn ich dort war, ging ich zu dem gelben Haus in der Rue Méchain und saß mit Sollie und Paulette am Tisch unter dem eisernen Leuchter und schaute durch die großen französischen Fenster hinaus in den Garten mit seinen verschiedenen gelben Rosen, großen und kleinen. Ich sah den riesigen Kirschbaum, der sich über die Nachbarmauer neigte, blühend oder voller Früchte, die man nie pflücken durfte. Die Kirschen sollte die Amsel haben zum Dank, dass sie so schön sang. Aber Adeline wohnte nicht mehr in dem Haus. Zu der Zeit, als ich heiratete, war sie mit einem Amerikaner nach New York verschwunden, einem Herrn in mittleren Jahren, der sie bald verließ. Aber sie kehrte nicht zurück nach Frankreich, sondern blieb zwei Jahrzehnte in den USA. Sie ließ sich in Berkeley, Kalifornien, nieder. Dort heiratete sie erneut, ließ sich jedoch bald wieder scheiden, nachdem ihr Mann sie so schwer misshandelt hatte, dass sie ins Krankenhaus musste. Danach hatte sie viele kurze Verhältnisse, in denen sie immer erniedrigt wurde. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich, indem sie auf Kinder anderer Leute, Häuser und Hunde aufpasste, hat sie mir später erzählt.

So war es, bis sie eines Tages den stattlichen Mohammed aus Nigeria kennenlernte. Alles wurde anders. Das Glück währte ein Jahr, genauso lange wie Mohammeds Stipendium. Als das auslief, musste er in sein Heimatland zurückkehren. Und Adeline versank in etwas, das sie als Schockzustand bezeichnete. Aber nach einiger Zeit raffte sie sich auf, erarbeitete Geld für ein Flugticket und folgte ihm, fest entschlossen, das zu werden, was sie ein African wife nannte.

Vielleicht hätte Mohammed sie sogar geheiratet, wenn sie nur eine ansehnliche Mitgift gehabt hätte.

Nach zwanzig Jahren sah ich sie endlich wieder. Sie war gerade nach Paris zurückgekehrt − zutiefst deprimiert. Sie hatte den weiten Weg von Mohammeds kleinem Dorf in Nigeria in das gelbe Haus in der Rue Méchain in Paris gemacht, um zu holen, was ihr Geliebter begehrte, aber ihr Vater weigerte sich, ihr eine Mitgift zu geben.

Und Mohammed erklärte ihr in einem Brief, dass es unter diesen Umständen sinnlos sei, zu ihm zurückzukehren. Ohne Mitgift war es ihm unmöglich, sie zu heiraten.

Als wir uns trafen, redete sie von nichts anderem, als wie sie es schaffen könnte, Mohammed umzustimmen. Sie hatte einen Brief um den anderen an ihn geschrieben, ohne auch nur einen abzuschicken. Die Briefe hätten ja doch nichts geändert. Sie fand nicht die richtigen Worte. Eines Tages bat sie mich, an Mohammed zu schreiben.

»Du bist doch Schriftstellerin«, sagte sie.



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