Wenn es dunkel wird by Manuela Martini
Autor:Manuela Martini
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: Arena
veröffentlicht: 2013-04-21T22:00:00+00:00
18
»Ist das nicht ein bisschen unbequem?« Julians Stimme weckte mich aus meinem Halbschlaf. In der Dunkelheit sah ich nur seinen Schatten und den matten Silberglanz auf seinem Haar.
»Stimmt«, sagte ich und ließ mir von ihm aufhelfen. Ich vermied es, ihn anzusehen. Wir standen nebeneinander und sahen hinunter in die dunklen Schatten des Nachbargrundstücks und auf die schwarze, glitzernde Fläche am Horizont, das Meer, das irgendwo in den Himmel überging oder umgekehrt.
»Du glaubst doch nicht an so was, oder?«, fragte er schließlich.
»Woran?«
»Ach, diese ganze Sache mit Verliebtheit und Hochzeit! Tammy schwärmt zwar von diesem Ben in L. A., aber der Typ ist doch nichts für sie! Und Tammy ist nicht eine, die gleich heiraten würde, also, bestimmt nicht!«
Tammy hatte ihm offensichtlich nichts von unserem Gespräch erzählt.
»Ich meine, das sind doch bloß Karten, oder?« Er wartete auf meine Zustimmung.
Was hoffte ich, in seinen Augen zu finden? Doch ein bisschen Verliebtheit – in mich? Ich blickte in den dunklen Himmel.
»Klar, sind bloß Karten.«
Er nickte erleichtert, lachte, stieß sich von der Mauer ab und sagte im Weggehen: »Morgen sollten wir alle zusammen an den Strand.«
»Ja«, sagte ich tonlos. Ich drehte mich um und hörte nur noch das Geräusch seiner Flipflops, als er zurück ins Haus ging.
Was ich empfand?
Stillstand. So etwas wie Tod. Ja, anders kann ich es nicht beschreiben.
Natürlich war ich schon öfter mal verliebt gewesen. An ihre Namen kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern. An einen vielleicht noch, er hieß Chris und spielte – und deshalb kann ich mich an ihn erinnern – Saxofon. Wahrscheinlich hätte ich ihn auch vergessen wie die anderen, wenn er unmusikalisch gewesen wäre oder sich für Tischtennis oder Handball interessiert hätte.
Aber bei Julian war es etwas anderes. Ich wollte IHN ganz, ich wollte ihn besitzen, für mich haben, ich wollte seinen Körper spüren, nah, ganz nah bei mir, ich wollte seinen Atem riechen und seine Haut, durch sein Haar streichen, ich wollte in seine Augen sehen und seine Lippen küssen, ich wollte ihn schmecken, ich wollte ihn lieben … und von ihm geliebt werden.
Ich wandte mich wieder der Dunkelheit zu, die vor mir lag. Ein Nebelschleier zog sich über den Himmel und Sterne und Mond sahen seltsam verwaschen aus. Als habe sich eine Folie dazwischengelegt, die verhinderte, dass sich etwas miteinander verband. Himmel und Erde, Verstand und Gefühl …
Ich setzte mich auf die Mauer. Irgendwann, so hoffte ich, würde es aufhören. Mein Gefühl für ihn. Irgendwann, ich musste bloß warten.
Ich war mit klebrigen Fäden an einen Baum gefesselt, meine Füße versanken in einem schwarzen Morast und über mir tropfte etwas auf meinen Kopf. Ich zitterte vor Kälte. Die Nacht war finster und kalt geworden, die Sterne am Himmel so winzig wie Nadeln. Grausiges Heulen drang heran, von Tieren oder geschundenen Menschen, ich schauderte und wusste zugleich, dass auch ich gleich so schreien würde, gleich, gleich würde sich das Rad des Schicksals, das da oben auf dem Berg wartete, herunterrollen, schwer und unaufhaltsam. Es würde direkt auf mich zukommen und mich zermalmen. Wenn nicht vorher die Schwerter, die ich jetzt über mir im Baum hängen sah, auf mich niedergehen und mich durchbohren würden.
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