Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition) by Rice Luanne

Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition) by Rice Luanne

Autor:Rice, Luanne [Rice, Luanne]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426414514
Herausgeber: Verlagsgruppe Droemer Knaur
veröffentlicht: 2012-01-05T23:00:00+00:00


15

Joe ging ans hintere Ende der Scheune, blieb vor dem Käfig der verletzten Schneeeule stehen und spähte durch den Maschendraht. Er behauptete, dass ihm alle Vögel, oder zumindest alle Raubvögel, gleichermaßen lieb waren, aber in Wirklichkeit fühlte er sich den Eulen am meisten verbunden. Sie besaßen etwas Mystisches und standen in dem Ruf, weise zu sein – wann immer er in ihre ruhigen, strahlenden Augen blickte, hatte er den Eindruck, dass sie mehr wussten als er.

Joe ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit der Eule zu sein, die am hinteren Ende des Käfigs kauerte. Mrs. Halloran hatte ihm einen großen Dienst erwiesen, als sie das verletzte Tier zu ihm brachte. Nicht nur, weil er hoffte, dass sich das Männchen, falls es genas mit dem Weibchen paarte, sondern weil die Schneeeule ihn an seinen Bruder erinnerte. Er hatte sich Damien seit vielen Jahren nicht mehr so nahe gefühlt. Während er in der eiskalten Scheune kauerte und sowohl vor Kälte als auch den Gefühlen, die ihn bewegten, zitterte, versuchte er, mit seinem Blick den dunklen Raum zu durchdringen.

»Er hat mich angerufen«, sagte Joe laut. »Tim. Meinte, er hätte eine Frage an mich. Hatte mit dem U-Boot zu tun, möglicherweise. Der Grund spielt keine Rolle, oder? Wichtig ist, dass sich mein Sohn bei mir gemeldet hat.«

Die Eule saß reglos da. Es war nicht so, dass Joe senil wurde und den Vogel für seinen Bruder hielt. Mitnichten. Auch wenn er in Kürze sechsundachtzig wurde, befand er sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Doch der Anblick der Schneeeule erinnerte ihn an die erste Reise, die sie nach der Rückkehr aus dem Krieg gemeinsam unternommen hatten.

Ach ja, damals. Die erste Gelegenheit, sich zu sehen und Zeit miteinander zu verbringen. Die erste Gelegenheit, den Schaden, den sie im Krieg davongetragen hatten, auszuloten. Joe sehnte sich nach diesem Kontakt – nach dem unkomplizierten Beisammensein unter Brüdern, dem Trost familiärer Bindungen, dem vertrauten Rhythmus von Scherzen, Geschichten und angefangenen Sätzen, die der andere beendete.

Sie waren die erste Strecke mit dem Zug gefahren, danach per Anhalter und zum Schluss hatten sie einen kanadischen Mountie überreden können, sie mitzunehmen. Damien hatte ein Schützengrabentrauma erlitten, und Joe war der Meinung gewesen, die Reise in die Tundra sei die beste Medizin; dort würden sie etwas Einmaliges zu Gesicht bekommen, einen seltenen Vogel. Die Schneeeule.

Sie schafften es in die Tundra, bis rauf in die Hudson Bay. Joe hatte gespürt, wie die eisige Luft und das Nordlicht den Geruch von Schießpulver, Diesel und Salz auf seiner Haut und in seinem Gemüt überdeckten. Er hatte sich von der langen Dunkelheit einlullen lassen, in einen tiefen, geruhsamen Schlaf, fern der Alpträume, die ihn plagten. Er hatte Damien immer wieder anschauen müssen, unsäglich froh, ihn wiederzusehen.

Er sah noch genauso aus wie früher. Aber er war nicht mehr derselbe. In seinen Augen glomm ein düsteres Feuer, was nicht unbedingt an der Veränderung liegen musste, die er an ihm bemerkte – Damien war immer ein empfindsamer, nachdenklicher Mensch gewesen. Doch nun schien er gealtert zu sein. Nicht nur an Jahren, sondern auch innerlich – er wirkte härter, wie versteinert.



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