Weisses Feuer, schwarzer Schnee: Roman (German Edition) by Susanne Oswald

Autor:Susanne Oswald [Oswald, Susanne]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-06T00:00:00+00:00

30

Schon früh am nächsten Morgen gab der Detektiv seinen Bericht an Yumiko durch. Sie erzählte, kaum hatte sie den Telefonhörer aufgelegt, und Robert übersetzte.

Als Meiko geboren wurde, war der Ort, wo ihre Familie lebte, noch ein richtiges Dorf, eine kleine Ansammlung von Bauernhäusern, einige noch strohbedeckt, inmitten von Reisfeldern. Nur um den kleinen Schrein herum wucherte etwas Wald. Inzwischen war die Stadt aber so weit ins Land hinaus gewachsen, dass sie das Dorf mehr oder weniger geschluckt hatte. Die wenigen Reisfelder, die es noch gab, lagen zwischen Betonblocks und Tankstellen, der kleine Wald verschwand zwischen den Häusern. Doch der Schrein, in dem die Götter des Reises und der Ernährung verehrt wurden, blieb unberührt, und ebenso der kleine buddhistische Tempel, der hauptsächlich zuständig war für die Betreuung der Toten. Neben seinem Tempelgarten mit drei alten Bäumen und einer kleinen Pagode lag ein Friedhof mit vielen ehrwürdigen alten Gräbern und ein paar wenigen neuen Grabstätten aus glattpoliertem Marmor. Denn seit Geschäftsgebäude und Garagen das Gelände in Beschlag genommen hatten, wurde nicht mehr so häufig gestorben im Dorf.

Meikos Vater war der Besitzer und Erbe dieses Tempels. Er hatte Gebäude und Priesteramt vom Vater übernommen. Aber was diesem noch ein gutes Auskommen geboten hatte und zu hohem sozialen Status verhalf, war jetzt zur dürftigen Angelegenheit geworden. Der Tod wurde von der modernen betonbauenden Gesellschaft an den Rand gedrängt, vom Sterben ließ sich nur noch kümmerlich leben. Darum war Meikos Vater Lehrer geworden. Er unterrichtete in einer entfernten Vorortsgemeinde vom ersten bis zum vierten Grad. Rundum verkauften die Bauern ihr Land. Sie bauten sich große Häuser mit schönen Gärten und fuhren stattliche Autos. Meikos Vater sah es mit Trauer und wohl auch mit Neid. Er fühlte sich überflüssig in dieser Welt des schnellen Gewinns.

Er war ein strenger und konservativer Mann, der nur etwas Weiche zeigen konnte, wenn er seinen abendlichen Sake konsumiert hatte. Schnell schüttete er jeweils zwei, drei große Gläser in sich, um Erleichterung zu finden von diesem Gefühl, es nicht geschafft, sein Leben verspielt zu haben. Trotzdem hatte er seinen Sohn verstoßen, als dieser sich weigerte, sein Nachfolger im Tempel zu werden und darauf beharrte, in die Hauptstadt zu ziehen. Danach konzentrierte er sich auf seine älteste Tochter. Meiko sollte all das werden, was weder er noch sein Sohn vollbracht hatten, sie sollte eine gute Erziehung erhalten und eine glänzende Heirat machen, das war sein Ehrgeiz. Er bezahlte ihr ohne Murren die teuersten Schulen, er lobte sie als seine Hoffnung, aber er erzog sie nun mit noch mehr Strenge.

Eines Abends beim Sake, mit der Verspätung, wie sie für langsame, konservative Charaktere typisch ist, sagte er sich plötzlich, dass er nicht dümmer sei als andere und dass auch er mit seinem Land Geld machen könne. Er beschloss einen Teil des Tempelgartens abzutrennen und darauf ein Geschäftsgebäude zu errichten.

Die Pläne wurden gezeichnet, Kredite wurden ihm gerne gewährt und der Bau wurde in Rekordzeit hochgezogen. Alles war wunderbar, die kleine Wohnung, die er sich im ersten Stock eingerichtet hatte, war reizend und ließ seine Frau seit Jahrzehnten wieder einmal strahlen.

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